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Aus: Ausgabe vom 27.09.2024, Seite 15 / Feminismus
Sexarbeit

Alles in einen Topf

Sexarbeit: Unionsfraktion bringt Antrag für Freierbestrafung ein. Differenzierte Betrachtung gegenüber Menschenhandel und Zwangsprostitution fehlt
Von Claudia Wrobel
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Anschaulicher Protest: Sexarbeiterinnen demonstrieren in Berlin gegen ein Sexkaufverbot (4.5.2024)

Sie stehen ein für die Rechte von Frauen im Allgemeinen und für das Wohl von Sexarbeitenden im besonderen. Zumindest behaupten das alle Akteure, die sich zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion »Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen« geäußert haben. Dabei könnten ihre Positionen nicht gegensätzlicher sein. Am Montag fand im Bundestag eine öffentliche Anhörung zu diesem Konzept statt, für das sich der Name »Nordisches Modell« eingebürgert hat.

Es besteht darin, Sexarbeit eindämmen beziehungsweise verhindern zu wollen, indem der Kauf sexueller Dienstleistungen strafbar wird. Das ist insofern eine Neuerung, als die Regulierung nicht bei den in der Branche Tätigen ansetzt, sondern die Handlungen der Freier strafbar werden. Außerdem kritisiert die Unionsfraktion in ihrem Antrag das Prostitutionsgesetz, mit dem ein Angebot sexueller Dienstleistungen in Deutschland im Jahr 2002 legalisiert wurde. Dabei schreibt sie von einer Mehrheit, die direkt oder indirekt in den Beruf gezwungen werde. Hinzu komme, dass »unter dem Schutzmantel der vom Gesetzgeber geschaffenen Legalität der Prostitution, (…) sich ein Handel mit Menschen unkontrolliert ausbreiten« konnte. Auffällig in den Bewertungen der Experten ist, dass die Mehrheit derjenigen Sachverständigen und Organisationen, die sich für den Antrag aussprechen, nicht oder kaum zwischen Zwangsprostitution und selbstbestimmter Sexarbeit differenzieren.

Zwangsprostitution und Menschenhandel sind in Deutschland weiterhin Straftaten, daran hat das Prostitutionsgesetz nichts geändert. Sicherlich hat der Verein »Neustart – christliche Lebenshilfe« mit seiner Stellungnahme recht, dass die Abgrenzung von Menschenhandel und legaler Prostitution fließend sei und auch nicht jede legale Prostitution freiwillig erfolge, sondern aus Armut oder Not geschehen könne. Allerdings bleibt offen, inwiefern der Verein sicherstellen will, dass Unterstützungs- und Beratungsangebote Sexarbeitende im Rahmen eines »Nordischen Modells« erreichen könnten. Von denjenigen, die selbstbestimmt in der Branche arbeiten, schweigt der Verein indes ganz.

Eine riskante Leerstelle, werden beide Gruppen doch durch eine erneute Strafbarkeit – wenn auch nicht der Sexarbeitenden selbst – weiter in die Illegalität und damit in einen Bereich gedrückt, in dem sie schwerer erreichbar sind. Denn nicht mal die Befürworter der Kriminalisierung von Freiern behaupten, dass damit Prostitution ernsthaft ein Ende finden könne, oder Menschenhandel und Zwangsprostitution nicht mehr stattfänden. So spricht sich etwa der Deutsche Städtetag in seiner Stellungnahme eindeutig für eine Weiterentwicklung des Prostitutionsgesetzes aus, allerdings: »Die wesentlichen Inhalte des vorliegenden Antrags ›Sexkauf bestrafen‹ erscheinen uns nicht geeignet, teils sogar kontraproduktiv, um die Verhältnisse rund um den Bereich Prostitution zu verbessern.«

Die Vertreter der Kommunen sprechen sich vielmehr dafür aus, Prostitution weiter ins »Hellfeld« zu bringen: »Durch die Stärkung der Rechte der Sexarbeitenden und durch den Aufbau von Kommunikationsstrukturen, z. B. durch Runde Tische, kann eine weitergehende Transparenz im Prostitutionsmilieu erreicht werden. So kann zu Schutz und guten Arbeitsbedingungen für die Sexarbeitenden beigetragen werden.« Auch der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen machte auf die potentiell schädlichen Auswirkungen des »Nordischen Modells« aufmerksam.

Demnach berichteten 42 Prozent der in einer Studie befragten Sexarbeitenden in Frankreich, wo das Gesetz 2016 eingeführt wurde und direkt die Kriminalisierung von Prostituierten ablöste, von einer Zunahme der Gewalt gegen sie. Auch ganz konkreter Schutz werde für sie schwierig, wie 38 Prozent berichteten. Ihnen falle es schwerer, die Nutzung von Kondomen einzufordern. Nicht zuletzt macht der Verband von Sexarbeitenden auf den Rassismus im Unionsantrag aufmerksam, wenn von Rückkehrprogrammen für Zwangsprostituierte gesprochen wird: »Der Antrag lässt vermuten, dass die CDU/CSU Betroffenen von Menschenhandel nicht konkret helfen, sondern sie lediglich in andere Länder abschieben will.«

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