Rabaukendemokraten
Von Arnold SchölzelIn der gültigen Geschäftsordnung des thüringischen Landtags vom 7. April 2022 heißt es in Paragraph zwei, Absatz zwei, zur Konstituierung des Parlaments: »Die stärkste Fraktion schlägt ein Mitglied des Landtags für die Wahl zur Präsidentin beziehungsweise zum Präsidenten vor.« Das wollten die Fraktionen von CDU, BSW, Die Linke und SPD am Donnerstag in Erfurt noch vor der festgelegten Abfolge ändern in so etwas wie »alle Fraktionen schlagen vor«. Der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler – ein Diplomingenieur, der bis zur Abwicklung seines Betriebs 1990 als Energetiker in Zwickau, danach in Bayern gearbeitet hat – wollte genau das verhindern. Er konnte sich auf die Geschäftsordnung berufen, die deren Änderung während der konstituierenden Sitzung nicht vorsieht.
Die zumeist lautstark gegen ihn erhobenen Einwände bis hin zur CDU-Einlage »Machtergreifung«, die ihren Weg in alle TV-Nachrichten fand, waren politischer, nicht juristischer Art. Genauer: Treutler wurde brüllend und mit Geklopfe zum Rechtsbruch aufgefordert, die AfD-Pöbler blieben ruhig. Das Rabaukentum im Plenum ging von denen aus, die in Bla-Bla-Antifaschismus und Demokratie machen. Insbesondere die CDU, deren Neigung zur AfD in Thüringen notorisch ist, hatte sich im alten Landtag geweigert, die Geschäftsordnung an dieser Stelle zu ändern. Nur am Rande, aber bezeichnend: Der »Machtergreifungs«-Maulheld Andreas Bühl, parlamentarischer CDU-Geschäftsführer, wurde zwar 1987 in der DDR geboren, hat auf seinem Bildungsweg aber womöglich nie gehört, dass Industrie, Banken und Reichswehr 1933 legal eine Machtübergabe an die NSDAP vollzogen. »Machtergreifung« ist Nazisprech.
Bühl rief schließlich das Landesverfassungsgericht an, das unter Leitung eines CDU-Mannes nun zu entscheiden hat, ob Treutler die Verfassung brach und Abgeordnetenrechte verletzte. Ob die Gerichtsentscheidung dazu führt, dass an diesem Sonnabend die Konstituierung fort- und zu Ende geführt werden kann, scheint reichlich offen. Solange auf allen Parlamentsseiten das sonst in Räuberhöhlen und Gangsterrackets praktizierte »Ihr seid frei, mich zu wählen« gilt, ist ein Ende nicht absehbar. Zu gönnen wäre den Volksvertretern eine Einrichtung wie das Filibustern im US-Senat, d. h. unbegrenztes Ermüdungsreden. Derselbe Zweck kann aber auch durch Anträge, Anfragen und Festklammern an Einzelnem erreicht werden, ohne dass – wie in Washington schon vorgekommen – ein Fäkalieneimer für Redner bereitgehalten wird.
Zum parlamentarischen Geschäft gehört, dass irgendeiner kapituliert. Als vor allem die CDU im Herbst 2005 mehrfach verhinderte, dass Lothar Bisky (PDS) Bundestagsvizepräsident wurde, gab der auf, und von April 2006 bis heute ist es Petra Pau. Ihrer Partei hat das nicht geholfen. Vielleicht geht es ja den in Erfurt Beteiligten ähnlich. Wäre annehmbar.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (28. September 2024 um 14:09 Uhr)Guter Kommentar von Herrn Schölzel. Bleibt zu hoffen, dass sich die jw auch mit der neuen Chefredaktion diese Fähigkeit und Bereitschaft für den kritischen und objektiven Blick erhält. In dieser konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags hat keine der Fraktionen einen Eindruck von Souveränität und Verantwortungsgefühl vermittelt. Rabauken eben.
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