Nordkorea-Falschversteher am Werk
Von Martin Weiser, SeoulSeit geraumer Zeit wird das »Verstehen« eines anderen Landes oder seiner Politiker als negative Eigenschaft herausgestellt. Die Bezeichnungen Nordkorea-Versteher und Kim-Versteher sind eine relativ neue Variante davon. Dabei lohnt es sich, auch einmal die Nordkorea-Falschversteher genauer zu betrachten. Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich bei ihnen nämlich intellektuelle Abgründe, Schlamperei und der Einfluss südkoreanischer Akteure auf die negative Darstellung der Demokratischen Volksrepublik Korea. Allein schon die Fehlübersetzung nordkoreanischer Begriffe wird absichtlich oder versehentlich genutzt, um gegen das Land im Norden Stimmung zu machen. Da am Montag zum 70. Mal der Tag des Übersetzens begangen wird, lohnt ein Blick auf die Top drei.
Im Dezember 2022 sanktionierte die US-Regierung das angebliche »Raketenindustrieministerium« Nordkoreas, bei dem es sich allerdings lediglich um eine Abteilung handelt, vermutlich im Verteidigungsministerium. In Südkorea wird dasselbe Wort für Abteilungen und Ministerien verwendet. Dass in Nordkorea ein vollkommen anderes Wort benutzt wird, ist anscheinend absichtlich ignoriert worden. Mit diesem »Missverständnis« konnte man nebenbei noch den Eindruck erwecken, das Waffenprogramm habe so eine hohe Priorität für die Regierung von Kim Jong Un wie etwa die Leichtindustrie, Nahrungsmittel oder Kultur mit ihren eigenen Ministerien.
Dasselbe »Missverständnis« führt in deutschsprachigen Medien seit Jahren zu der Falschmeldung, Kim Jong Uns Schwester arbeite im Propagandaministerium oder sei sogar die Ministerin, statt nur eine hohe Funktionärin in der Propagandaabteilung der Arbeiterpartei. Dass Nordkorea keinerlei Propagandaministerium hat: ein unwichtiges Detail. Die Falschinformation verbreiteten etwa der österreichische ORF (November 2016) und NTV in Deutschland (Oktober 2017), Stern (Februar 2018), Focus (März 2023) oder auch die Deutsche Welle (Juni 2020). Noch lieber als eine »Einmanndiktatur« ist den anti-nordkoreanischen Meinungsmachern natürlich eine »Geschwisterdiktatur.« Die Bild setzte im Februar 2017 noch einen drauf und schrieb, sogar der Bruder Kim Jong Chol arbeite in dem Ministerium. Den Schritt zum Vergleich mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda der deutschen Faschisten überließ man dann den Lesern in den Kommentaren. Diese Falschmeldungen wurden anscheinend von konservativen südkoreanischen Zeitungen befördert, die stümperhafte englische Übersetzung ihrer Nordkorea-Artikel online stellen. Die Donga Ilbo behauptete zum Beispiel im März 2014, man vermute, Kims Schwester sei Vizeministerin. Die Wiener Zeitung baute die Ente acht Monate später aus und behauptete, das komme direkt von der südkoreanischen Regierung.
Die bisher gravierendste Fehlübersetzung, die Seoul seit März 2023 lanciert, betrifft ein angebliches Gesetz im nördlichen Nachbarstaat, das die Todesstrafe für Konsum und Weitergabe verbotener Medien wie südkoreanischer Videos vorsehen soll. Dabei enthält der entsprechende Artikel sieben des Gesetzes weder den Begriff »Todesstrafe« noch findet sich so etwas weiter unten im Gesetz, wo die Strafen für verbotenen Medienkonsum aufgeführt werden. Dennoch nahm nicht nur Amnesty International diese Anschuldigung freudig auf. Selbst der höchste Menschenrechtsbeauftragte der UN schwadronierte im Juni vor dem UN-Sicherheitsrat davon, der Generalsekretär nahm es kurz darauf in seinen Bericht zu Nordkorea auf. Der Blick in ein nordkoreanisches Wörterbuch hätte genügt, um zu merken, dass der zentrale Begriff in Artikel sieben alle harten Strafen und nicht nur Todesstrafe meint. In Südkorea benutzt man ihn hingegen nur als Synonym für Todesstrafe und das reichte anscheinend, um siebzig Jahre auch sprachlicher Teilung unter den Teppich zu kehren.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (2. Oktober 2024 um 09:52 Uhr)Wenn der kollektive Westen einen Feind identifiziert hat, dann startet er eine konzertierte Aktion der Verleumdung, Fälschung und Demagogie. Das klappt flächendeckend, weil die Medien zum allergrößten Teil nicht, wie es ihre Aufgabe wäre, unabhängig, objektiv und wahrheitsgemäß berichten, sondern den Mächtigen und Entscheidern im Westen zur Seite springen. Ist wiederum nicht verwunderlich, weil die Verstrickung des Staates und der meisten Medien eine Intensität erreicht hat, die die Mär von der »vierten Gewalt« im Staate zur Lachnummer gemacht hat.
Ähnliche:
- 18.09.2024
Seouls Informationskrieg
- 14.05.2024
Vorwurf der Goebbelsschen Propaganda
- 04.12.2023
Gefängnis wegen Gedicht
Mehr aus: Ausland
-
Blinken stolpert über Lüge
vom 30.09.2024 -
Streik für Palästina
vom 30.09.2024 -
Gegen Militärbasen
vom 30.09.2024 -
Zusagen aus Washington ?
vom 30.09.2024