Polnische Arbeiter (I)
Von Helmut HögeWährend des Werftarbeiterstreiks auf der Lenin-Werft in Gdańsk 1980/81, aus dem die Solidarność-Gewerkschaft hervorging, wurde der Regisseur Andrzej Wajda aufgefordert, einen Film über die Bewegung zu drehen, womit er sofort begann. Die Streikenden hatten 21 Forderungen, die staatliche Zensurbehörde verlangte von Wajda dann 21 Kürzungen. Seine Produzentin riet ihm, die Zensur zu ignorieren – und den Film sogleich, während der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1981, bei den Filmfestspielen in Cannes einzureichen, wo er mit der »Goldenen Palme« ausgezeichnet wurde. Der Film hat den Titel »Der Mann aus Eisen« und beginnt mit den studentischen »März-Unruhen 1968« und dem »Aufstand der Arbeiter 1970«, deren getötete Kämpfer 1980 mit einem riesigen Denkmal vor dem Tor der Lenin-Werft geehrt wurden.
Der Solidarność schlossen sich nach und nach andere gesellschaftliche Gruppierungen an, daneben gab es seit 1976 das von Intellektuellen, u. a. von Jacek Kuroń gegründete »Komitee zur Verteidigung der Arbeiter« (KOR). Kuroń wurde enger Mitarbeiter des Solidarność-Führers Lech Wałęsa und nach dem »Systemwechsel« 1989 Arbeits- und Sozialminister. Der KOR-Gründer Antoni Macierewicz wurde erst Innen-, dann Verteidigungsminister.
Der Kampf gegen die kommunistische polnische Regierung wurde von der katholischen Kirche mitgetragen, vor allem vom Vatikan und dem polnischen Kardinal Karol Wojtyla, der 1978 zum ersten nichtitalienischen Papst gewählt wurde. Als Johannes Paul II. nutzte er die Vatikanbank zur Geldwäsche von Mafiavermögen, um die polnische Oppositionsbewegung mit Zigmillionen Dollar zu unterstützen.
1989/90 kam es auch zur Auflösung der DDR und anderer sozialistischer Staaten sowie 1991 zur Auflösung der Sowjetunion, wobei die neoliberalen »Chicago-Boys« sich zunächst die Ukraine vornahmen. 18 Jahre nach dem triumphalistischen »Mann aus Eisen« war der sozialistische Ostblock quasi zurückkapitalisiert, die Arbeiterklasse entmachtet und der kommunistische Rocksänger und Baggerfahrer im Lausitzer Braunkohlerevier (heute Vattenfall) Gerhard Gundermann konnte mit einem Film »Das Ende der Eisenzeit« (1999) verkünden. Der arbeiterliche »Stahlinismus« wich digitalisierten Dienstleistungsgesellschaften.
Die Lenin-Werft wurde wie viele andere Werften geschlossen, dafür aber 2007 ein riesiges Arbeitermuseum aus rostigem Stahl auf dem Gelände errichtet. Es war politisch derart umkämpft, dass ständig seine Direktoren zurücktreten mussten. In diesem »Europäischen Centrum der Solidarność« (ECS) wurde die Geschichte des polnischen Widerstands gegen den Kommunismus multimedial aufs Feinste aufbereitet. Im zweiten Stock befindet sich das »Solidarność-Zentralarchiv« und das Büro von Lech Wałęsa.
Finanziert wurde das Museum von der EU (mit 51 Mio. Euro) und vom Danziger Bürgermeister Paweł Bogdan Adamowicz, den man 2019 ermordete. Das ECS wird heute von über einer Million Menschen jährlich besucht. Der sozialdemokratische Vorwärts nannte es 2023 einen »Ort demokratischen Denkens und Handelns«.
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