»Die mediale Darstellung soll einschüchtern«
Interview: Yaro AllisatAm Montag jähren sich die Angriffe der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023. Sie veranstalten eine Aktionswoche, bei der es nicht um die Angriffe selbst geht, sondern vor allem um die Berichterstattung deutscher Medien im Anschluss. Warum?
Lina T.: Die Aktionswoche heißt »Es begann nicht am 7. Oktober!«, denn viele Menschen sind erst durch die Darstellungen der Ereignisse jenes Tages auf die Situation aufmerksam geworden. Seither wurden womöglich über 100.000 Palästinenser getötet. Wir wollen die Bevölkerung darüber aufklären, was eigentlich passiert. In den meisten Medien finden sie nicht nur falsche Darstellungen, sondern sogar eine Sichtweise, die den Genozid ermöglicht. Der Internationale Gerichtshof, IGH, spricht von Apartheid. Vor dem IGH wird über Völkermord durch Israel verhandelt. Auch Deutschland steht wegen Unterstützung Israels vor dem IGH, aber das bekommt hier kaum jemand mit. Täter und Opfer werden systematisch in den deutschen Medien verdreht. Deshalb ist es unsere Pflicht, darüber aufzuklären.
Wie wollen Sie möglichst viele Menschen erreichen?
T.: Am Montag haben wir eine Ausstellung über die Nakba gezeigt – eine renommierte Ausstellung, die auch schon im EU-Parlament gezeigt wurde. Die Nakba ist die ethnische Säuberung Palästinas, die 1948 begann und niemals endete. Wir möchten allerdings Menschen erreichen, die nicht zu Ausstellungen gehen, deswegen stellen wir die Tafeln hier auf einem öffentlichen Platz in Leipzig aus.
Bissan A.: Wir zeigen zudem den Film »Where the olive trees weep« (Wo die Olivenbäume weinen, jW). Danach möchten wir mit den Besuchern ins Gespräch kommen, insbesondere darüber, ob sie von Themen wie dem »Great March of Return« (friedlicher Protestmarsch von Palästinensern in Gaza 2018/2019, jW) schon mal gehört haben und was sie aus den deutschen Medien so mitbekommen. Es gibt Infostände, Demos, Kundgebungen, Vorträge und kreative Aktionen unter anderem in Berlin, Frankfurt am Main, Köln und Dresden.
Wie waren die bisherigen Rückmeldungen?
A.: Ich habe vorhin Flyer an Vorbeigehende verteilt. Sobald die Leute unsere palästinensische Flagge sehen, sind sie total abgeschreckt. Einer hat mir ins Gesicht gesagt: »Bleib weg von mir!« Die, mit denen wir ins Gespräch kommen, haben oft schon ein bisschen Ahnung vom Thema. Ich hatte auch ein Gespräch mit einem Kommilitonen, der mir zugestimmt hat, dass die Einheimischen zurückkehren sollten, aber er meinte: »Aber was passiert dann mit den Siedlern?« Ich habe jeden Moment Angst, dass ich meine Familie oder Freundinnen aus Gaza durch Bomben verliere.
T.: Ich denke, dass die Leute eigentlich mehr wissen, als sie zugeben. Sie sind gegen die Waffenlieferungen und erkennen, dass es sich um Kolonialismus handelt. Viele gehen mit den Medienberichten nicht konform. Aber sie wissen, dass sie als Antisemiten diffamiert werden, sobald sie etwas Kritisches sagen. Deshalb trauen sie sich nicht. Das Ziel der medialen Darstellung ist die Einschüchterung der Menschen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den Menschen die Angst zu nehmen.
Es ist inzwischen beinahe normal, dass die Polizei brutal gegen Demonstranten vorgeht. Hinzu kommen Strafverfahren, zum Beispiel für Hörsaalbesetzungen.
T.: Die Polizei hat alle Tafeln der Nakba-Ausstellung abfotografiert. Am Dienstag haben wir Videomaterial aus Gaza gezeigt. Es gab noch nie so viele Amputationen, noch nie wurden so viele Kinder, Zivilisten, Journalisten, UN-Kräfte durch Flächenbombardement systematisch getötet, gefoltert und erschossen. Oft gibt es Probleme wegen »Jugendschutz« – man darf es nicht sehen, aber man darf die Kinder in Palästina töten. Für eine Podiumsdiskussion wurden uns die Räume versagt.
Eine unserer Demos wurde in der Vergangenheit verboten, weil sie unter dem Motto »From the river to the sea« stand. Dagegen werden wir gerichtlich vorgehen. Wir glauben allerdings nicht an den deutschen Rechtsstaat, denn es ist derselbe Staat, der sich am Völkermord beteiligt. Deshalb werden wir den Prozess politisch begleiten.
A.: Die arabische Community zieht sich zurück und kommt nicht zu Demos, weil viele Angst haben, ihren Aufenthaltstitel oder die Staatsbürgerschaft zu verlieren. Viele wollen auf die Straße gehen, aber der Staat macht zuviel Druck.
Lina T. und Bissan A. sind Teil der palästinasolidarischen Gruppe »Handala«, die im bundesweiten »Kufiya-Netzwerk« aktiv ist
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