Einigung mit Wermutstropfen
Von Thomas BergerKönnen ein paar kleine Inseln mit einer summierten Landmasse von 60 Quadratkilometern für internationale Schlagzeilen sorgen? Ja, denn seit Donnerstag ist es amtlich: London will den Chagosarchipel an Mauritius zurückgeben. Damit endet ein spätkoloniales Kapitel im Indischen Ozean – fast. Der Preis für die nach jahrzehntelangem Tauziehen zwischen Mauritius und den Briten erzielte Einigung ist, dass der US-Militärstützpunkt auf Diego Garcia, mit rund 44 Quadratkilometern das größte der Eilande, noch lange fortbesteht. Über diese Insel behält London weitere 99 Jahre die Hoheit, so die vorgestellte Vereinbarung. »Das ist ein wegweisender Moment in unserer Beziehung und eine Demonstration unseres andauernden Einsatzes für die friedliche Beilegung von Zwistigkeiten und die Herrschaft des Rechts«, zitierte die BBC aus dem gemeinsamen Statement der beiden Regierungschefs Keir Starmer und Pravind Jugnauth.
David Lammy, Außenminister der neuen britischen Labour-Regierung, brachte abseits des Pathos hingegen in klaren Sätzen auf den Punkt, worum es den Briten prioritär geht: »Diese Regierung hat eine Lage geerbt, nach der ein langfristig gesicherter Weiterbetrieb der Militärbasis Diego Garcia bedroht war«, hieß es unter Verweis auf die verschärften juristischen Streitigkeiten um die Zugehörigkeit der Inselkette. Mit dem Abkommen werde diese Sicherheit für die Basis nun geschaffen. »Das wird unsere Rolle beim Schutz der globalen Sicherheit stärken«, so Lammy laut Al-Dschasira. Was ungesagt blieb: Großbritannien und die USA sind im globalen Machtkampf bestrebt, auch im Indischen Ozean ein militärisches Gegengewicht zum wachsenden wirtschaftlich-politischen Einfluss Chinas in Südasien zu schaffen.
Der Chagosarchipel liegt südlich der Malediven in der Mitte dieses Weltmeeres, westlich und östlich etwa gleich weit von der afrikanischen Landmasse und Indonesien entfernt. Geographisch gehört die Inselkette, die im 16. Jahrhundert von portugiesischen Seefahrern »entdeckt« wurde, zu Afrika. Zunächst eine Weile unter französischer Herrschaft fiel sie mit dem Vertrag von Paris 1814 als Teil von Mauritius an Großbritannien. 1965, drei Jahre vor Mauritius’ Unabhängigkeit, wurde sie als Britisches Territorium im Indischen Ozean (British Indian Ocean Territory, BIOT) abgespalten. Richtig schlimm wurde es für die damals rund 2.000 Bewohner der Bevölkerungsgruppe der Iloi, als sie vor gut 50 Jahren zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen wurden. 1973 waren die Inseln geräumt, es folgte die Errichtung der US-Militärbasis auf Diego Garcia, eines strategisch wertvollen Stützpunkts.
Über Jahrzehnte haben die Chagossianer – die meisten ließen sich in Mauritius nieder – um ihr Rückkehrrecht gekämpft, auch vor britischen Gerichten. Manche der Urteile waren Ermutigung, andere Rückschläge. 2017 sprach sich die UN-Generalversammlung in einem wegweisenden Votum mit 94 gegen 15 Stimmen auf Antrag von Mauritius für die Rückgabe der Inseln aus, 2019 urteilte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag, inzwischen ebenfalls mit diesem Fall kolonialer Relikte befasst, gegen Londons fortgesetzte Weigerung. Der damalige IGH-Präsident Abdulqawi Ahmed Yusuf, ein somalischer Jurist, erklärte die 1965 erfolgte Abspaltung von Mauritius als »keinen freien und genuinen Willensausdruck der betroffenen Menschen«, wie aus aktuellem Anlass der Guardian in Erinnerung rief. Die Redaktion des linksliberalen Blattes hatte immer wieder intensiv über den Kampf der Chagossianer berichtet.
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