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Aus: Ausgabe vom 05.10.2024, Seite 8 / Ausland
Repressive Migrationspolitik

»Sozialdemokratisches Futter für extrem rechte Rhetorik«

Kritik an neuen deutschen Grenzkontrollen. EU-Linke für faire Verteilung von Geflüchteten. Ein Gespräch mit Konstantinos Arvantitis
Interview: Alieren Renkliöz
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Andere Regierungen erkannten, was die BRD beabsichtigt. Kontrollposten an der Grenze zu den Niederlanden (Bad Bentheim, 16.9.2024)

Seit Mitte September lässt die deutsche Regierung an allen Landgrenzen der BRD Kontrollen durchführen und begründet das mit einer Überforderung des Staats durch Migration und Fluchtbewegungen. Dies haben Regierungen wie die griechische oder die österreichische kritisiert. Wie bewerten Sie als griechischer EU-Abgeordneter die Ausweitung deutscher Grenzkontrollen?

Wie die Entscheidung aus Deutschland zeigt, werden Staaten das Konzept der »höheren Gewalt« im neuen Asylpakt der EU ausnutzen. Im Wesentlichen hat die europäische Rechte die Situation missbraucht für innenpolitische Manipulationen, anstatt die Flüchtlingskrise umfassend zu adressieren. In dem Fall dient die deutsche Grenzpolitik als sozialdemokratisches Futter für eine extrem rechte Rhetorik, die unwissenschaftlich, unmenschlich und realitätsfremd ist. Ich war Schattenberichterstatter der Linksfraktion zur »Krisen und Force majeure«-Regelung, auf die sich hier berufen wird. Diese Sonderregelung des neuen ­Migrations- und Asylpaktes haben wir seit Beginn der Verhandlungen stets kritisiert.

Welchen Standpunkt vertritt die Linksfraktion in dieser Frage?

Die Position der Linken war nie eine der »offenen Grenzen«. Wir haben uns immer für die Notwendigkeit von Regeln, Bedingungen und die Achtung der Menschenrechte eingesetzt, insbesondere im Hinblick auf den Begriff »Flüchtling«. Tatsächlich haben wir im EU-Parlament die Etablierung von legalen Migrationsrouten aktiv unterstützt und gefördert. Wir drängten auch auf die »verpflichtende Umverteilung« von Flüchtlingen in alle 27 Mitgliedstaaten. Leider wurde das nicht in den Pakt aufgenommen, da die Rechten und die Sozialdemokraten die freiwillige Umsiedlung bevorzugten. Das bedeutet, dass reiche Länder entweder aussteigen oder unter Berufung auf »höhere Gewalt« oder politische Erwägungen die Verteilung verweigern und die Last auf den Schultern der Mitgliedstaaten belassen können, in die Flüchtlinge als Erstes einreisen. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern widerspricht auch den europäischen Grundwerten.

Premierminister Kyriakos Mitsotakis warf Berlin vor, das Schengen-Abkommen außer Kraft zu setzen.

Er hat das zu Recht verurteilt. Aber er sollte ebenso sein eigenes Werben für den neuen Migrationspakt überdenken. Mitsotakis und seine Administration hatten diesen schändlichen Pakt in den Trilogverhandlungen nicht bekämpft. Der verwandelt Länder in europäische Haftanstalten für Migranten. Und das alles ohne jegliche begleitende Integrationsstrategie.

Das Dublin-System verlagert die Verantwortung für Flüchtlinge auf die Staaten mit EU-Außengrenzen. Wie kann sie EU-weit gerechter aufgeteilt werden?

Die Dublin-Regeln sind im Grunde kollabiert. Wir alle sind uns einig, dass das System keine Gültigkeit mehr hat. Der neue Einwanderungspakt, auf den sich die mächtigen politischen Gruppen in Europa verständigt hatten, hat diese Situation herbeigeführt. Wir bestehen auf einer verpflichtenden und gerechten Verteilung von Flüchtlingen auf alle Mitgliedstaaten anhand der gemeinsam akzeptierten Kriterien.

Zugleich dürfen wir nicht vergessen, warum Menschen zu Flüchtlingen werden. Europa muss die Verantwortung für sein Engagement in Ländern, in denen Bürgerkrieg herrscht, sowie für die Auswirkungen der Klimakrise anerkennen und übernehmen. Aber anstatt Gelder verantwortungsvoll in eine nachhaltige Entwicklung zu investieren, wird finanzielle Hilfe häufig »freundlichen Torwächtern« oder Organisationen wie der libyschen Küstenwache angeboten, was zu katastrophalen Ergebnissen führt.

Konstantinos Arvantitis (Syriza) ist EU-Abgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion GUE/NGL

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