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Aus: Ausgabe vom 05.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
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Wehmut der Leere

Von Bernhard Spring
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Kein schöner Anblick: Merseburger Straße in Halle (Saale)

So richtig fiel der Laden eigentlich erst auf, als das Schild im Schaufenster hing: »Wir verabschieden uns in den Ruhestand.« Und dann deutlich größer darunter: »Wer unser Geschäft übernehmen möchte, meldet sich bitte unter …« Ein Strickwarenladen ging seinem Ende entgegen. Ein älteres Ehepaar machte Schluss nach langen Jahren voller Arbeit.

Die Merseburger Straße in Halle (Saale) gehört zu den hässlichsten der Stadt. Eine von diesen phantasielosen Einflugschneisen für Pendler: breitspurig, trostlose Häuser am Rand und nirgendwo ein Grund, um anzuhalten (und auch kaum eine Möglichkeit dazu). Dass sich hier ein familiengeführtes Geschäft, das Wolle, Nadeln und Strickmuster verkaufte, überhaupt halten konnte, grenzt an ein Wunder. Niemand, so scheint es, hat es ausgerechnet an dieser Stelle gebraucht. Das Leben dieser beiden Eheleute war sicher nicht einfach.

Es gab noch einen Ausverkauf bis in den September hinein. Dann, am letzten warmen Sonntag, stand eine ältere Frau auf einem Gerüst am Haus und kratzte den alten Namenszug von den Schaufenstern. Rolläden wurden ein letztes Mal runtergezogen, und seitdem sieht das Haus genauso fahl und unscheinbar aus wie alle anderen in der Straße. Schon jetzt fällt es an manchen Tagen schwer zu sagen, wo genau der Laden eigentlich war.

Ich habe nie gestrickt, und ich wäre nie im Leben hier im Nirgendwo aus der Bahn gestiegen, nur um diesen kleinen Laden – einfach mal so – zu erkunden. Aber jetzt fahre ich mit Wehmut an der Leere vorbei. Ist es, weil zeitgleich der Herbst kommt? Weil sich der beklemmende Gedanke von der Vergänglichkeit aufdrängt? Oder vielleicht, weil dieser Laden so bescheiden, lautlos und sorgfältig aus dem Straßenbild verschwunden ist, dass man meinen könnte: Diese kleinen Leute müssen großartig anständig gewesen sein. Und ist es nicht schade, dass man sie erst jetzt bemerkt hat, wo sie nicht mehr da sind?

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