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Aus: Ausgabe vom 05.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Theater

Was habe ich getan?

Das Maxim-Gorki-Theater Berlin adaptiert Kafkas »Prozess« in einer Inszenierung von Oliver Frljić
Von Sabine Lueken
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Viel Farce und Slapstick (Theaterszene)

Franz Kafkas 100. Todestag, jetzt auch am Maxim-Gorki-Theater. »Der Prozess« – die Parabel auf das Ausgeliefertsein des Individuums an undurchsichtige Machtstrukturen. Was habe ich getan? Was kann ich tun, um zu entkommen? Wer bin ich? Recht und Gesetz, Macht, Schuld und Angst. Diesen Fragen widmet sich Kafkas Roman.

Gleich zu Beginn der Inszenierung von Hausregisseur Oliver Frljić (Premiere war am 21. September) wird Josef K. auf einer Krankenliege hereingerollt, herumgewirbelt und gezwirbelt von den beiden Wächtern Franz und Willem (Yanina Cerón, Marc Benner). Sie tänzeln und springen, bedrohen K. frech. Dabei sind sie nur Subalterne, wie wir wissen, und werden später selber bestraft – ausgepeitscht von Christiane Paul in einer ihrer Rollen als Prüglerin mit schwarzlackleder-bodenlanger Schürze. Symphonische, an Ballettmusik erinnernde Walzerweisen ertönen, im Hintergrund dräut eine wohlgeformte Justitia mit Waage, Augenbinde und Schwert. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Wessen, warum, von wem K. angeklagt, ja verhaftet sei, wie die Wächter ihm mitteilen, das wird er bekanntermaßen bis zum Ende nicht erfahren. Und bis zum Ende bleiben alle seine Anstrengungen vergebens, er findet keine Verbündeten, will sich schon selbst erhängen und wird dann – rechtmäßig – abgestochen »wie ein Hund«.

Josef K. (Edgar Eckert), ein weicher, sympathischer Typ mit lockigen Haaren, ist völlig perplex: »Wir leben doch in einem Rechtsstaat!« Obwohl verhaftet, solle er ruhig weiterarbeiten in seiner Bank, als Prokurist, wird ihm gesagt. Die Aufführung folgt nun Szene für Szene Kafkas Text bzw. der von Max Brod erstellten Reihenfolge der Fragmente, die Kafka um 1914/15 geschrieben und niemals zum Roman fertiggestellt hat. Brod war dem Willen seines Freundes nicht nachgekommen, hatte das Werk nicht verbrannt, sondern 1925 herausgebracht. Dieser Sachverhalt führt zu einer Überraschung am Ende der Inszenierung, die zuvor schon langsam ermüdet hatte. Josef K. tritt vor seine Richterin, die hoch oben auf einem Metallgestell thront. Aber jetzt ist es Kafka selbst, dem sein eigenes Werk vorgeworfen wird. »Sie haben ein Buch über dieses Gericht geschrieben, in dem sie seine Arbeitsweise offengelegt haben.« Fiktion und Wirklichkeit werden zum Vexierbild. »Sie wollen also behaupten, ›Ich‹ sei eine Fiktion?«

Bis dahin konfrontieren Wächter, Wirtin, Fräulein Bürstner, Onkel Karl, Advokat Huld, Leni, der Untersuchungsrichter, diverse Gerichtsdiener, Maler Titorelli, Kaufmann Block – alle von fünf Schauspielerinnen in wechselnden Rollen virtuos gespielt – K. mit manieriert gesprochenem Text voller Kunstpausen und vielsagender Betonungen. Bald kann man sie kaum noch voneinander unterscheiden, sie wirken wie Automatenmenschen, die um ihn tänzeln und ihn verwirren (Choreographie Evelin Facchini). Als K. sich vor dem Gericht, das vom Metallgitter zu ihm herunter spricht, ins Publikum flüchtet, werden wir alle zu Angeklagten.

Das Bühnenbild ist sparsam, die Kostüme bürobeige, grau und schwarz. Die Subalternen tragen das Sakko verkehrt herum wie einen Kittel und ein das Haar verdeckendes Käppi. Schreibmaschinen werden zu Folterinstrumenten, die den Schuldigen ihre Strafe in die Körper einschreiben. K.s innere Pein wird angedeutet durch einen sich ihm zuweilen nähernden Doppelgänger mit langen Haaren, die an die Frisur des jungen Peter Handke erinnern, und der, wenn er die Maske abnimmt, ein ganz anderer ist. Grellrote Einsprengsel deuten die sexuellen Szenen des Romans an: überdimensionale rote Gummihandschuhe, die die Wirtin beim Bügeln trägt, knallrote K-förmige Lollis, an denen die Anwesenden Augen rollend und aufdringlich lüstern lecken, pinkfarbene Gummihandschuhe, die sich Fräulein Bürstner bei Gelegenheit auszieht, neonrote Barbeleuchtung zum mexikanischen Schmachtfetzen »Esclavo y amo« hinten in der Kulisse gesungen (Szenenapplaus für Yanina Cerón). Gleichzeitig Herr und Knecht sein. Die orange lodernden Flammen im Video hingegen zeigen einen verbrennenden Menschen. Brod hat das Buch nicht verbrannt, und Kafka fragt am Ende: »Habe ich als Autor denn nicht das Recht auf mein eigenes Werk?«

Das Publikum ist lachbereit. Auch Kafka soll ja öfter laut gelacht haben, wenn er im Freundeskreis seine Texte vorlas. Aber so richtig gibt’s diesmal nichts zu lachen. Das »Gefühl der radikalen Entfremdung«, der »Ohnmacht des Individuums« allerdings tritt beim Zuschauen auch nicht so richtig ein. Dafür war einfach zu viel Farce, Slapstick und Harmlosigkeit.

Nächste Vorstellungen: 6.10., 20.10., 29.11.

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