Ein paar Quadratkilometer im Donbass
Von Arnold SchölzelAm Montag beginnt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) die Woche mit einem alarmistischen Kommentar zur USA-Reise Wolodimir Selenskijs unter der Überschrift »Putin kann frohlocken«. Aufhänger ist der Schlüsselsatz aus der Rede des ukrainischen Präsidenten im UN-Sicherheitsrat am 24. September: »Russland kann zum Frieden nur gezwungen werden.« Die NZZ stimmt zu: »Nur ein entschlossener Westen kann den Traum von einem neuen russischen Imperium zerplatzen lassen.« Aber Selenskij habe »vor der UNO und in Washington scheinbar an eine Wand« gesprochen, im US-Kongress hätten sich nur seine überzeugtesten Unterstützer mit ihm treffen wollen, von Joseph Biden habe es schöne, aber hohle Worte gegeben. Realität sei, »dass die Ukraine derzeit auf Verliererkurs ist« und der US-Präsident keine Notwendigkeit sehe, seine »allzu zaghafte Unterstützung« zu überdenken. Der »vernünftigen Devise« Selenskijs komme der Westen jedenfalls »nicht annähernd nach«, vielmehr breite sich »Kriegsmüdigkeit« aus.
Der Notschrei aus Zürich ertönte in den folgenden Tagen in allen deutschsprachigen Großmedien. Die Helden der Schreibtischfront kennen nur eine Maxime: Krieg bis zum äußersten, und wenn’s nicht so läuft, wie gedacht – Durchhalten. Kriegsbesoffenheit sieht in Realismus Landesverrat und in Niederlagen Weltuntergang, was zumindest insofern berechtigt ist: Die wenig erfolgreichen Kriege des Westens in den vergangenen 30 Jahren sind Indizien für den Niedergang globaler Hegemonie. Da verdüstern sich die Selbstbetrachtungen, und der Ton wird schriller.
Am Mittwoch legte die NZZ selbst exemplarisch nach und geißelte die »lähmende Angst vor kriegerischer Eskalation«. Überschrift: »Der Westen schwächt sich selbst«. Gewissermaßen die Vorstufe zum Selbstmord. Denn der Westen entblöße »mit seiner gebetsmühlenhaften Forderung nach Deeskalation« seine »eigene Distanziertheit und Machtlosigkeit«. Zentraler Satz: »Manchmal braucht es einen mutigen militärischen Schlag, um einen Gegner entscheidend zu schwächen, bevor man über Frieden verhandeln kann.« Solche Zuredner sind gebetsmühlenhaft seit längerem beim »Klotzen, nicht kleckern«. Laut NZZ hat sich »diese Erkenntnis« in der israelischen Regierung offenkundig durchgesetzt, woraus sich »ein riesiger Erfolg« ergeben habe, an dem die westlichen Verbündeten Israels wegen ihrer »permanenten Ermahnungen zur Deeskalation« aber »keinen sichtbaren Anteil« hätten. Ähnlich sei es in der Ukraine. Das signalisiere Schwäche.
Unter der Dachzeile »Weltordnung« geht am Freitag in der Süddeutschen Zeitung deren Brüssel-Korrespondent Hubert Wetzel den sich daraus ergebenden Schritt und betrachtet das Ganze von jenem Platz an der Sonne aus, für den deutsche Konzerne ihre Bevölkerung schon zweimal in einen Weltkrieg trieben. Wenn »Moskau, Teheran und Peking zusammen« daran arbeiten, »die westlich – sprich amerikanisch-europäisch – dominierte Weltordnung zu zerstören«, dann seien Ukraine, Gaza und Libanon »keine separaten Kriegsschauplätze, sondern nur verschiedene Abschnitte einer langen antiwestlichen Front«. Dann gehe es »um mehr als um ein paar Quadratkilometer im Donbass oder an der Levante« und sei »die Bedrohung für Europa existenziell«. Bisher habe »man nicht den Eindruck, als sei diese Einsicht im Lieferketten- und Ladekabel-Brüssel schon angekommen«.
Wer so groß denkt wie Wetzel, nimmt die von der NZZ notierten Anzeichen für Aufgabe und Selbstschwächung des Westens für das, was sie sind: Existenzbedrohung. Russen, Chinesen und Mullahs stehen kurz vor Brüssel. Da müssen größere Dinge her als Bunkerknacker auf Beirut. Sonst ist der Selbstmord des Westens schon vollzogen.
Wer so groß denkt wie Wetzel, nimmt die von der NZZ notierten Anzeichen für Aufgabe und Selbstschwächung des Westens für das, was sie sind: Existenzbedrohung. Russen, Chinesen und Mullahs stehen kurz vor Brüssel.
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