»Die DDR hat niemals Krieg geführt«
Von Daniel BratanovicEs war eine wohl vergebliche Bitte. Als Egon Krenz am Sonnabend im Berliner Kino Babylon zur Frage »75 Jahre DDR. Was bleibt?« referierte (ein Auszug seiner Rede findet sich auf Seite drei), räumte er ein, den Arbeiter- und Bauernstaat möglicherweise zu idealisieren. Was er aber von Wissenschaftlern, Politikern und Medienschaffenden der Bundesrepublik erwarte, das sei »ein objektives und geschichtlich gerechtes Urteil über die DDR«. Sein Plädoyer dürfte bei den Angesprochenen ungehört verhallen, auch wenn oder gerade weil sie seine Rede zur Kenntnis genommen haben sollten.
Daniel Friedrich Sturm, Leiter des Hauptstadtbüros des Berliner Tagesspiegels, wähnte sich jedenfalls in einer »Märchenstunde mit Egon Krenz« und wollte vom ehemaligen SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden der DDR ein Lob auf Stalin gehört haben. Leute wie Sturm scheinen desinteressiert an dem, was seine eigene Zeitung immerhin zum Motto erhoben hat: Die Ursachen der Dinge erkennen.
Was waren die Gründe dafür, dass die Deutsche Demokratische Republik vor nun genau 75 Jahren in die Weltgeschichte eintrat? Was waren die Leistungen und auch Verfehlungen des anfangs antifaschistisch-demokratischen, später sozialistischen Staates? Aus den Erinnerungen Hunderttausender Bürger östlich der Elbe ließe sich etliches benennen, was aber immer noch nicht Teil des öffentlichen Gedächtnisses sein darf. Der einstweilen gescheiterte Versuch, eine andere Eigentumsordnung zu etablieren, eine andere Produktionsweise jenseits von Profit und Ausbeutung, soll in der kapitalistischen Bundesrepublik der Verdammnis anheimfallen.
Und noch etwas steht quer zur Politik des übriggebliebenen deutschen Staates: »Die DDR hat niemals Krieg geführt. Sie war der deutsche Friedensstaat«, wie Krenz in seiner Rede unterstrich. Angesichts einer seit 1949 nicht erlebten Aufrüstung und Kriegsrhetorik in diesem Land ist es nötig, an diese unverrückbare Tatsache zu erinnern.
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Sehen wir uns im vereinten Deutschland, die sogenannte Wertegemeinschaft, um, es hat gut drei Jahrzehnte gebraucht, dass Frieden nahezu als Unwort gilt. Krieg erklären uns Märchenererzähler des Berliner Tagesspiegels als Weg zum Frieden. Was sollten wir an Friedensrealität die DDR idealisiert betrachten, im Kampf um das Menschenrecht Frieden? Wir können rückblickend wie aus Sicht heutiger Forderungen nach imperialer Kriegstüchtigkeit die objektive Möglichkeit bewiesen sehen, daß dauerhafter Frieden keine ewige Illusion sein muß unter sozialistischen gesellschaftlichen Bedingungen. »Immer doch schrieb der Sieger Die Geschichte der Besiegten. Dem Erschlagenen entstellt Der Schläger die Züge. Aus der Welt Geht der Schwächere, Und zurückbleibt Die Lüge«, lesen wir bei B. Brecht. Ist das nicht seit Jahrzehnten die Erfahrung, Erleben aller derer, die im Sozialismus, die mit der DDR eine große Hoffnung der Menschheit sahen? Diese Hoffnung bleibt, ist nicht aus der Welt, kann nicht weggelogen werden. Die Hoffnung, erster Versuch, den historischen Schritt in eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, in eine menschengerechte Gesellschaft zu wagen, das kann nicht mehr nur Idealisiertes sein, weil es Aufgabe der Menschheit ist. Wir mögen hier und da geschönt auf die DDR zurückblicken. Wir dürfen aber nie vergessen, wozu nur eine DDR auf dem Weg vom Ich zum Wir fähig und in der Lage gewesen ist. Mit dem gesellschaftlichen Blick, gesellschaftlich vereinter Individuen sind wir an der Klassenfrage, die über die Zukunft entscheidet. »Sag mir wo du stehst« singt Hartmut König. Wissen woher man kommt, wohin man gehört, da ist nichts zu idealisieren. Ein Unding zu erwarten, Eliten und Speichellecker des Kapitals wären bereit, ein objektives, ehrliches Geschichtsbild und Urteil über die DDR wie auch die BRD zu fällen. Erinnern wir sie doch an das, was sie 1989 an Verheißungen dem Volk im Osten versprachen. Keine Feindbilder, keine Krisen, kein Machtanspruch, keine Parteiendiktatur mehr, wurde bis in die Linke als Hoffnung getragen. Wie steht es um die Realität heute und wie macht sich eine DDR nach 75 Jahren ihrer Gründung im geschichtlichen Urteil aus? Ein gewaltiges Einheitsdenkmal soll in Berlin Geschichte verkörpern? Welche und wessen Geschichte? Es kann nur ein Lügendenkmal sein.
Keine Kriege mehr, blühende Landschaften, Demokratie und Menschenrechte, keine Mangelwirtschaft, Wohlstand, Freiheit, Recht, Meinungsfreiheit. Was ist die gesamtdeutsche tägliche Wirklichkeit nach mehr als drei Jahrzehnten, am 75. Gründungstag der DDR, wenn sich DDR-Bürger zurückerinnern? Kapitalistische Realität hat Ostdeutsche eingeholt. Regierende, Ideologen, Soziologen, Ostbeauftragte, Wissenschaftler wundern sich darüber, dass in einer nicht mehr existierenden DDR noch große Bevölkerungsteile sich betrogen fühlen, sich anders als verordnet an ihre DDR-Zeit erinnern, politische Alternativen suchen. Bewusstsein für eine bessere Gesellschaft jenseits des Kapitalismus, sozialistisch-kommunistisches Denken, Fühlen, Handeln zu entwickeln ist unvergleichlich schwerer als Antikommunismus, Hass, Angst, Dummheit, Verdummung in die Köpfe zu tragen.
»Der Communismus als positive Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung und darum als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen. Dieser Kommunismus ist als vollendeter Humanismus das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als dessen Lösung.« Marx 1844