»Es wäre weit teurer als das bisherige System«
Interview: Gitta DüperthalDer Berliner CDU/SPD-Senat behauptet, mit der geplanten Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete Geld und Verwaltungspersonal einsparen zu können. Der Flüchtlingsrat Berlin kritisiert sie dagegen als »kostenintensiv und Steuergeldverschwendung«, gerade auch angesichts des verhängten Ausgabenstopps des Berliner Finanzsenators Stefan Evers von der CDU. Wie kommen Sie darauf?
Für Berlin werden die Kosten der Bezahlkarte nach Presseberichten auf bis zu sechs Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Weiterhin wird der Senat Gebühren begleichen müssen, die die Geflüchteten logischerweise gar nicht bezahlen können, etwa für Überweisungen. Deshalb ist mitunter auch von bis zu zehn Millionen Euro die Rede. Daran verdienen Unternehmen wie Visa, in Kooperation mit weiteren Profiteuren aus der Banken- und Finanzbranche wie Secupay, Publik, SAP, Nortal und Giesecke und Devrient, die sich so an Steuergeldern bereichern. Durch dieses breitgefächerte Gewirr an Firmen, die an diesem Versuch der Repression gegen Geflüchtete mitverdienen wollen, wird das ganze Unterfangen komplett unkontrollierbar. Fest steht: Die Bezahlkarte würde weit teurer werden als das bisherige System. Zum Vergleich: Die Zahlstelle für die Bargeldauszahlungen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, LAF, kostet das Land inklusive Personalausgaben jährlich 366.000 Euro.
Die Haushaltssperre soll ab 2025 gelten.
Genau darum will der Senat die Einführung der Bezahlkarte vermutlich jetzt im Eiltempo durchpeitschen, mit – wie erwähnt – unkalkulierbaren Risiken. Fehlbeträge müssen dann möglicherweise durch Einsparungen bei anderen Haushaltsposten ausgeglichen werden. Dabei muss man sehen: Am Freitag erst haben Beschäftigte des LAF erneut einen Brandbrief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, CDU, geschrieben, weil es trotz steigender Flüchtlingszahlen kein neues Personal gibt. Mitarbeiter litten ständig an Überlastung und miesen Arbeitsbedingungen, Geflüchteten drohe infolgedessen zunehmend Obdachlosigkeit.
Die sogenannte Social Card wird angepriesen, nach Bedarf »flexibel anpassbar« auf Anforderungen von Bundesländern und Kommunen reagieren zu können. Welche Repressionen könnten so auf Geflüchtete zukommen?
14 Bundesländer vergeben den Zuschlag an das Konsortium der Finanzhaie. Das Problem ist also nahezu bundesweit virulent. Die Teilhabe der sowieso schon armen, vielfach von Flucht sehr geschwächten Menschen wird mit der Vergabe der Karte weiter eingeschränkt, ihre gesellschaftliche Integration weiterhin erschwert. 50 Euro Bargeld, die sie damit abheben können, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie sollen sie die Mitgliedschaft in Sportvereinen oder etwa an der Kinokasse bezahlen? Kleinere Geschäfte, Lebensmittelläden oder Imbisse lehnen die Karte oft ab, da für sie Gebühren entstehen könnten. Auf Märkten ist sie nicht nutzbar.
Könnte es sein, dass die Geflüchteten nur als ein erstes Experimentierfeld dienen; dass das Verfahren schließlich auf andere Leistungsempfänger ausgeweitet werden soll, etwa auf Bürgergeld- oder Wohngeldempfänger?
Dass mit Geflüchteten so umgesprungen werden soll, ist besonders skandalös. Asylsuchende bekommen kein Bürgergeld, sondern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz; also fast 20 Prozent weniger als es das Existenzminimum vorsieht. Sollte es den politisch Verantwortlichen gelingen, nun diese neuerliche Diskriminierung gegen Geflüchtete durchzusetzen, ist tatsächlich zu befürchten, dass sie das auch bei anderen Gruppen sowieso schon prekär lebender und sozial benachteiligter Menschen versuchen.
Wie ist dagegen gemeinsamer Widerstand zu organisieren?
Einerseits treffen wir Sofortmaßnahmen für die betroffenen Geflüchteten. Wir tauschen uns mit anderen Flüchtlingsräten aus, um ihnen mit einem solidarischen Tauschsystem zu Bargeld zu verhelfen. Andererseits versuchen wir, unsere Kampagne gegen die Bezahlkarte nun auch auf eine breitere Basis zu stellen. Wir müssen langfristig denken und uns zusammenschließen, bevor diese Maßnahme etwa weitere ebenso gesellschaftlich diskriminierte Gruppen trifft.
Adam Bahar ist Mitarbeiter des Flüchtlingsrats Berlin
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