Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 07.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
DDR 75

Über allem stand der Frieden

Die Staatsdoktrin der DDR lautete: »Von deutschem Boden darf niemals wieder ein Krieg ausgehen«
Von Egon Krenz
»Macht’s besser, als wir es konnten« – Egon Krenz im Kino Babylon in Berlin-Mitte (5.10.2024)
Am Sonnabend im Kino: »75 Jahre DDR. Was bleibt?«
Am roten Teppich vor dem Babylon in Berlin-Mitte (5.10.2024)
Zünftiger als »Metropolis«: Beilage »75 Jahre DDR« und aktuelle Wochenendausgabe der jungen Welt im Babylon
Blick vom Balkon: Im Babylon während der Veranstaltung zum 75. Jahrestag der Gründung der DDR
Der Philosoph und Historiker Martin Küpper spricht über vergesellschaftetes Wohnen in der DDR
Auf dem Podium (v. l. n. r.): Moderatorin Doreen Kähler, Dörte Grimm (Autorin), Linda Gundermann (Liedermacherin) und Jennipher Antoni (Schauspielerin)
Solidaritätskampagne für die junge Welt vor dem Eingang des Babylon, im Bildhintergrund die Volksbühne

Wir dokumentieren an dieser Stelle die Rede, die Egon Krenz, im Herbst 1989 Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR, am vergangenen Sonnabend auf der von der jungen Welt ausgerichteten Veranstaltung »75 Jahre DDR. Was bleibt?« im Berliner Kino Babylon gehalten hat. (jW)

Liebe Anwesende,

mein Gruß gilt allen Freunden, allen Genossinnen und Genossen, allen Sympathisanten, die ihr gekommen seid, um an die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik zu erinnern. Es war der Schwur von Buchenwald: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, der das Fundament war, auf dem die DDR am 7. Oktober 1949 gegründet wurde.

Ich grüße die Vertreter aller Altersgruppen, insbesondere auch diejenigen, die – wie ich – die DDR von den Anfängen bis zum Ende erlebten, euch, die ihr viel von eurer Lebenskraft gegeben habt – in der Überzeugung, mit der Stärkung der DDR dem Guten in Deutschland zu dienen. Es sind nicht wenige, die sich trotz Delegitimierungsversuchen zur DDR bekennen, so dass der Chef der uns nicht gerade freundlich gesinnten sogenannten Forschungsgruppe »SED-Staat« zugeben muss, es sei bis heute nicht gelungen, »die DDR aus den Herzen zu bekommen«. Die Älteren würden immer wieder sagen, die DDR sei »unsere Heimat« gewesen.

Sehr herzlich grüße ich euch, die Nachgeborenen, die sich trotz Verleumdung und zahlreicher Geschichtsfälschungen, die sich auch in Schulbüchern wiederfinden, für den deutschen Arbeiter- und Bauernstaat und seine Politik interessieren. Euch begegnet in dieser Gesellschaft viel Unwahres über unseren Staat, den es nicht mehr gibt. Doch ich kann euch versichern: Wir, die wir mit dem Herzen dabei waren, wollten die Welt verändern und ein besseres Deutschland schaffen. Damit nie mehr eine Mutter ihren Sohn beweint. Leider ist uns das aus vielerlei Gründen, auch durch eigene Mitschuld, noch nicht gelungen. Vieles ist unerledigt geblieben.

Und dennoch denke ich: Wir waren wie Wegbereiter, haben die Saat gelegt. Die Ernte werden wir sicherlich nicht mehr erleben. Doch ich habe die Hoffnung, dass ihr und eure Altersgefährten, eure Kinder und Kindeskinder es sein werden, die nicht vergessen, dass es 40 Jahre lang im Osten Deutschlands einen antifaschistischen Staat gab, der die Lehren aus zwei Weltkriegen gezogen hatte und eine reale Alternative zu Kapitalismus und Krieg war.

Deshalb meine Bitte: Bewahrt, was man vom Erbe der DDR übrig gelassen hat. Es sind keine Reichtümer, die auf geheim gehaltenen Konten liegen. Es sind soziale Werte wie Respekt, Empathie und Fairness, die eine gerechte Gesellschaft stützen und zusammenhalten, eine Gesellschaft, in der der Mensch nicht der Wolf eines anderen Menschen sein darf. Macht’s besser, als wir es konnten. Aber: Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht, dann erinnert euch bitte auch an das Gedicht von Brecht »An die Nachgeborenen«:

»Ihr aber, wenn es soweit sein wird,

Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist

Gedenkt unserer

Mit Nachsicht«.

Scharfe Kontraste

Liebe Anwesende,

es gibt viele Gründe, die DDR zu mögen. Und auch manche, ihre Unzulänglichkeiten scharf zu kritisieren. Doch über allem steht das Wort Frieden. Die DDR hat niemals Krieg geführt. Sie war der deutsche Friedensstaat. Ich möchte in diesem Zusammenhang an das Staatstelegramm zur Gründung der DDR aus Moskau an Staatspräsident Wilhelm Pieck und Ministerpräsident Otto Grotewohl erinnern. Ich zitiere es, weil es prägnant die historische Mission der DDR ausdrückt:

»Die Bildung der Deutschen Demokratischen friedliebenden Republik ist ein Wendepunkt in der Geschichte Europas«. Und weiter: »Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Existenz eines friedliebenden demokratischen Deutschlands neben dem Bestehen der friedliebenden Sowjetunion die Möglichkeit neuer Kriege in Europa ausschließt.« Wie wahr, wie klar, wie aktuell!

Solange es die Sowjetunion, der wir – mehr als allen anderen – die Befreiung Deutschlands vom Faschismus verdanken, und an ihrer Seite die DDR gab, solange herrschte Frieden in Europa. Was für ein Kontrast! Kaum war die UdSSR zerschlagen, bombardierte die NATO am 24. März 1999, ohne UN-Mandat mit bundesdeutscher Beteiligung das souveräne Jugoslawien, das nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor von der faschistischen deutschen Wehrmacht besetzt worden war. Der »grüne« Bundesaußenminister Joschka Fischer entblödete sich nicht, diesen völkerrechtswidrigen Angriff mit der Begründung zu verschleiern, dass ein zweites »Auschwitz« verhindert werden sollte. Bis heute dient die Lebenslüge von einer angeblich »humanitären Außenpolitik« seiner ebenfalls »grünen« Nachfolgerin als Rechtfertigung für Waffenlieferungen in bisher nie gekannter Größenordnung an die Ukraine, statt auf Verhandlungen mit Russland zu drängen.

Wie heuchlerisch und einseitig die Politik der gegenwärtigen Bundesregierung ist, zeigte sich auch kürzlich in der UN-Vollversammlung, die mit einer großen Mehrheit von 120 Staaten eine Resolution zur Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen verabschiedete und eine sofortige Waffenruhe forderte, während die Bundesrepublik zu den 45 Staaten gehörte, die sich der Stimme enthielten.

Wenn es um »Krieg und Frieden« ging, gab es in der DDR niemals Neutralität. Kriegspropaganda und Rassenhass einschließlich Russophobie waren in der DDR verboten. Unsere Staatsdoktrin lautete: »Von deutschem Boden darf niemals wieder ein Krieg ausgehen«. Getreu der Hymne der DDR, in deren zweiter Strophe es hieß: »Lasst das Licht des Friedens scheinen, dass nie wieder eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.« Es wäre in der DDR einfach undenkbar gewesen, die Bevölkerung aufzufordern, sich »kriegstüchtig« zu machen. Bei uns, vor allem in der Ausbildung junger Menschen, hatte die Erziehung zum Frieden Priorität.

Das waren nicht nur Bekenntnisse oder gar leere Worte, wie wir auch im Herbst 1989 bewiesen, als die DDR die Gewaltlosigkeit der Ereignisse garantierte. Der Ruf an die Streitkräfte der UdSSR »Bleibt in den Kasernen« kam nicht von Gorbatschow, sondern war eine souveräne Entscheidung der DDR, die uns die Geschichtsfälscher streitig machen. Wir ahnten damals allerdings nicht, dass die Bundesregierung danach ihr Verhältnis zu Russland auf den niedrigsten Punkt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bringen und nachträglich den Sieger von 1945 zum Verlierer von heute erklären würde.

Vertrauen zerstört

Ich bin überzeugt, dass vielen Ostdeutschen einige solcher Gedanken durch den Kopf gingen, bevor sie bei den Landtagswahlen ihre Stimme abgaben. Ihre Wahl bedeutet nicht, wie das einige Kommentatoren meinen, dass Ostdeutschland inzwischen »braun« geworden sei. Vielmehr ist es ein Signal an alle etablierten Parteien: Hört uns endlich zu! Wir wollen keine neuen Waffenlieferungen in die Ukraine und nach Israel. Wir brauchen keine neuen Raketen! Wir wollen Frieden! Nur das ist der Weg, um der AfD ernsthaft das Wasser, das sie seit längerem eifrig schöpft, abzugraben.

Innerhalb historisch kurzer Zeit zerstörten bundesdeutsche Regierungen, was sich in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR an Vertrauen zwischen den Deutschen und den Völkern der Sowjetunion aufgebaut hatte. Nun wird durch bundesdeutsche Politiker und Medien Russenhass geschürt, wie ich ihn letztmalig als Achtjähriger in der Endphase des Zweiten Weltkrieges erlebt hatte. Das alte Feindbild – an allem sei der »Russe« schuld – und die Mär vom gefährlichen Russland leben wieder auf. Den Leuten wird Angst gemacht, als stünden seine Truppen bereits kurz vor der Oder.

Jeder einigermaßen gebildete Deutsche weiß, dass Deutschland in zwei Weltkriegen gegen Russland beziehungsweise die Sowjetunion gekämpft hat; Deutschland aber von Russland noch nie überfallen wurde. Nur zweimal in der neuesten Geschichte kamen die Russen bzw. die Rote Armee nach Deutschland, einmal gegen Napoleon und einmal gegen Hitler. Wie das ausging, ist gut bekannt.

Ich bin sicher: Hätte sich in den 1980er Jahren der Außenminister der Bundesrepublik wie die gegenwärtige Amtsinhaberin geäußert, man führe »Krieg gegen Russland« und wolle »Russland ruinieren«, er wäre von einem Kanzler wie Helmut Schmidt auf der Stelle entlassen worden. Zu Recht werden Willy Brandt, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Egon Bahr und andere wegen ihrer Entspannungspolitik gelobt. Aber: Das ist ja nur die halbe Wahrheit. Diese Persönlichkeiten haben doch die Entspannungspolitik nicht mit sich selbst gemacht. Sie brauchten dazu Partner, und dazu gehörte neben der Sowjetunion auch die DDR. Ohne die friedliche Außenpolitik der DDR hätte es keine Entspannungspolitik von Willy Brandt und anderen geben können. Mit ihnen waren wir uns einig: Lieber hundertmal miteinander verhandeln, als einmal aufeinander schießen, wie Erich Honecker mehrfach erklärte.

Als ich Anfang der neunziger Jahre Michail Gorbatschow traf, um ihn zu informieren, dass die bundesdeutsche Justiz über 100.000 politische Ermittlungsverfahren gegen DDR-Bürger eingeleitet hatte, erzählte er mir von einem Gespräch mit Bundeskanzler Kohl. Der habe ihm gesagt, »Michail Sergejewitsch, wir sind da drüben im Osten einem fremden Volk begegnet. Die sind ganz anders als wir.«

Das war und ist die Weltsicht der altbundesdeutschen politischen Eliten und ihrer Erben, die bis heute einen geschichtlich korrekten Blick auf die DDR nicht zulassen. Für sie ist ihr Kapitalismus das allein Seligmachende – die Norm – und das Beste, was sie sich überhaupt vorstellen können. Dass es im Osten Menschen gab, die es besser fanden, ohne Kapitalismus zu leben, für die nicht der Ellenbogen dominierte, wenn es um menschliche Beziehungen ging, sondern die ein gesellschaftliches Miteinander tagtäglich lebten – das wollte und will absolut nicht in die Köpfe der DDR-Hasser, die in der Politik und in den Medien den Mainstream bestimmen.

Lebendige Erinnerung

Zum Ende der DDR gab es rund 16 Millionen Einwohner. Inzwischen sind wir schon weniger geworden. Das bedeutet, es gibt heute bis zu viele Millionen individueller Sichten auf die DDR. Die auf eigener Erfahrung beruhende Deutungshoheit sollte aber ausschließlich diesen Bürgern selbst überlassen bleiben und nicht einer medialen »Aufarbeitungsindustrie« oder gar Pfarrer Gauck, der zwölf Jahre Nazibarbarei mit 45 Nachkriegsjahren in Ostdeutschland bzw. der DDR gleichsetzt.

Ginge es nach diesen Leuten, bliebe die DDR in der Erinnerung der Menschen: Nur »ein Millionenhäuflein gegängelter Kreaturen«, eingesperrt hinter einer Mauer mit einer »schrottreifen Wirtschaft«, umgeben von »Mief und Muff und der Staatssicherheit«. Nein. So war die DDR nicht!

Solange die Regierenden nicht verstehen, welche Wurzeln die Ostdeutschen haben, dass viele der ehemaligen DDR-Bürger einfach nicht bereit sind, sich ihr Leben aus dem Westen erklären zu lassen und zu akzeptieren, dass sie auf der falschen Seite der Geschichte gestanden hätten, solange also ihre Biographien in den Dreck gezogen werden, solange werden die etablierten Parteien und ihre Ideologen auch das Wahlverhalten vieler Ostdeutscher nicht verstehen können.

Die Hinterlassenschaft

Die DDR hat trotz allem im Zentrum Europas bewiesen: Ein Leben ohne Kapitalisten war auch im hoch industrialisierten Deutschland möglich. Zu den Bausteinen unserer Politik gehörten Begriffe wie Bodenreform, durch die Hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene Grund und Boden und damit eine Überlebensgrundlage erhielten. Zum Erbe der DDR gehört es, dass Nazi- und Kriegsverbrecher enteignet wurden und dass ihre Produktionsmittel in Volkseigentum umgewandelt wurden, das nach der »Wende« von der Treuhand oftmals »für ’n Appel und ’n Ei« verhökert wurde.

Was wir auch hinterlassen, sind Generationen von Neulehrern, die anfangs manchmal noch »Blume« mit »h« schrieben, und ebenso die neuen Juristen, die oftmals aus sogenannten »einfachen Verhältnissen« stammten; Generationen von Frauen, die gleichberechtigt leben und arbeiten konnten und die ihre Ehemänner nicht erst fragen mussten, ob sie einem Beruf nachgehen oder ein Konto eröffnen dürfen. Ich erinnere an viele Akademiker, deren Karrieren erst durch die Brechung des Standes- und Bildungsprivilegs möglich wurden und die oftmals auch ohne Abitur Arbeiter- und Bauernfakultäten absolvieren konnten.

Was wir ebenfalls hinterlassen, sind Tausende von Wohnungen, einschließlich der gesicherten Erfahrung, dass Wohnraum sowie Grund und Boden nicht dazu da sind, um Spekulanten die Taschen zu füllen, und dass ein »Dach über dem Kopf« zu haben, keine Gnade ist, sondern ein Menschenrecht.

Manches, was viele heute beklagen, hinterlassen wir allerdings nicht: Die DDR hat keine Arbeitslosen; selbst den weniger Fleißigen wurde zu einem Berufsabschluss verholfen. Jugendliche trafen sich in Jugendklubs – seltener an Tankstellen oder Bahnhöfen.

Wir haben der Nachwelt keine Milliardäre übereignet, aber auch keine Bettler und Drogensüchtigen. Und schlussendlich: Vielleicht existierten Neonazis in Verstecken. Doch ihre Reichskriegsflaggen hissten sie erst, nachdem sie diese aus dem Westen bekommen hatten und die neue Staatsmacht wie ohnmächtig zuschaute und ihnen die bis dahin verweigerten »Freiheiten« genehmigte.

Die DDR ist im Kampf der Systeme zerbrochen. Unser Traum vom sich entwickelnden Sozialismus zerschellte auch an unseren eigenen Schwächen: an unzureichender Informationspolitik, mangelnder Nutzung der verfassungsmäßig garantierten demokratischen Rechte, an Versorgungslücken sowie Bürokratie und oftmals auch an Engstirnigkeit. Die Wirklichkeit entfernte sich stärker von den Idealen, was große Teile der Bevölkerung 1989/90 nicht mehr hinnehmen wollten.

Im nachhinein wissen wir: Seit die DDR als soziales Korrektiv ausfiel, steigt die soziale Kälte. Die ohnehin schon vorhandene Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, und inzwischen ist die Kluft geradezu obszön. Klientelparteien veruntreuen die Kassen des Gemeinwohls. Aber der Widerstand wächst. Soziales Interesse aus fast allen Spektren der Gesellschaft zwingt die bürgerlichen Parteien zur Diskussion über die gröbsten Auswüchse. Würden sie nur so energisch geführt, wie es Methode ist, DDR-Biographien zu entwerten samt der pauschalen Hatz gegen ehemalige Mitarbeiter von Sicherheitsorganen der DDR, mit denen Dampf aus der eigenen Problemküche geleitet wird! Die DDR taugt nicht als Aschenputtel deutscher Geschichte.

Was die DDR war, warum sie gegründet wurde, welche historischen Errungenschaften ihr eigen waren, welche Stellung sie international einnahm, wie sich beide deutsche Staaten in einem kalten Bürgerkrieg immer am Rande eines möglichen Atomkrieges befanden, was die Gründe für die Niederlage der DDR waren und was von ihr bleiben wird – das sind grundsätzliche Fragen der deutschen Nachkriegsgeschichte, ja, der europäischen und der Weltgeschichte – und eben viel viel mehr als eine »Fußnote der Geschichte« und auch weit mehr als der »grüne Pfeil«.

Objektiv urteilen

Man kann mir vorwerfen, ich idealisiere die DDR. Mag sein. Doch in Wirklichkeit plädiere ich lediglich für eine Selbstverständlichkeit, nämlich dafür, dass Wissenschaftler, Politiker und Medienschaffende, die überwiegend in der Bundesrepublik sozialisiert wurden, sich endlich um ein objektives und geschichtlich gerechtes Urteil über die DDR bemühen.

Noch leben wir – die Zeitzeugen. Und wenn wir irgendwann nicht mehr da sind, bleiben immer noch unsere Erlebnisse und Erfahrungen in der Erinnerung unserer in der DDR geborenen Kinder. Und davon gab es ja auch reichlich, denn die DDR war auch ein kinderfreundliches Land. Den Glauben aber, dass diese Welt mit Krieg und Ausbeutung so nicht bleiben wird, wie sie gegenwärtig ist und »dass die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint«, wie es in der DDR-Hymne heißt –, diesen Glauben will und kann ich nicht aufgeben.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von I. Markgraf (8. Oktober 2024 um 12:38 Uhr)
    Vielen Dank für den Abdruck des Auszuges aus der Rede von Egon Krenz zum 75. Jahrestag.
    Das in unserer DDR über allem der Frieden stand, dem kann ich nur zustimmen. Der Satz spricht mir aus dem Herzen. Ich bin dieses Jahr 75 geworden und habe die Anfangsjahre und erbitterten Kämpfe um Frieden gut mitbekommen.
    Vor vier Jahren ist meine jüngste Enkelin zur Schule gekommen. Bei dieser Gelegenheit habe ich oft mit ihr in der Fibel (dem Lesebuch der 1. Klasse) gelesen und sie manchmal auch aus der Fibel der DDR lesen lassen. Welche Unterschiede es da schon gibt! Eines Tages habe ich dann mal die Anzahl der Vorkommen des Wortes »Frieden« in der jetzigen Fibel und der DDR-Fibel gezählt. In der jetzigen Fibel kam das Wort einmal vor und in der DDR-Fibel habe ich nach 20mal aufgehört zu zählen. Auch die Völkerfreundschaft oder das Lied »Kleine weiße Friedentaube« findet man in großer Ausprägung. Das alles hat unsere Menschen zu dem gemacht, was sie noch heute sind und strahlt auch auf die Nachkommen aus.
    Mit einem Punkt komme ich jedoch seit langem nicht klar, die übermäßige Kritik an der AfD und den Parallelen zum Faschismus. Jeder möchte keinen Faschismus wieder. Lag das aber allein an Hitler? Hätte er seine unsäglichen Kriege und Menschenvernichtungen denn führen können wenn er vom Kapital nicht die notwendigen Gelder und Material zur Vernichtung von Menschen bekommen hätte? Meiner Meinung nach kann man keine pauschale Verurteilung einer ganzen Partei und der Wähler dieser nicht durch einzelne Aussage einiger begründen. Eine sachliche Auseinandersetzung ist nötig. Das Verhalten einiger Redakteure in Interviews mit Vertretern von Parteien, die nicht gewünscht sind, ist oft unsachlich und beschämend. Jede Partei muss doch in ihrer Zeit gesehen werden. Auch die Grünen, Die Linke und die SPD hatten sich den Frieden mal dick in Ihre Programme geschrieben. Was ist heute daraus geworden? Müssen wir nicht viel mehr Angst haben vor einer Unterwanderung dieser Parteien durch das Kapital mit Hilfe der Medien?
    Vor kurzem habe ich das erste Mal eine Kreuzfahrt im wahrsten Sinne des Wortes durchgeführt. Zum festlichen Abendessen konnten wir, eingekesselt von Gästen aus den alten Bundesländern, interessante Gespräche führen. Nur einen Satz möchte ich zitieren, der nach einer hitzigen Debatte am Nachbartisch mir unangenehm auffiel: »Dann sollen sie doch Ihre Mauer wieder hoch ziehen.« Aber es waren auch viele andere guten Gespräche dabei. Mein Fazit: Wir müssen besser zuhören lernen.
    Nach den 14 Tagen Kreuzfahrt habe ich nur eins vermisst, meine Zeitung die junge Welt.
    Die Vielfältigkeit und Ehrlichkeit. Die möchte man am liebsten abschaffen, verbieten … Danke der Jungen Welt für die organisierte Veranstaltung zum 75. Jahrestag. Es ist auch ein kleiner Dank an die vielen fleißigen und ehrlichen Menschen, die in der vergangenen DDR eine bessere, friedliebendere Gesellschaftsordnung zum Wohle einer breiten Bevölkerungsmehrheit aufzubauen versucht haben.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (7. Oktober 2024 um 16:32 Uhr)
    Egon Krenz hat uns, die wir die Entwicklung der DDR über einen längeren Weg selbst miterlebt und auf unserem Platz mitgestaltet haben, aus dem Herzen gesprochen. Es wird wesentlich mehr von der DDR bleiben, als sich dies ihre Widersacher wünschen. Im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Ordnung stand der Mensch, frei von Zukunftsängsten und materiellen Sorgen, gleichen Bildungschancen für alle sowie der besonderen Förderung von Kindern und Jugendlichen. Und dies alles im Frieden. Ralph Dobrawa, Gotha
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Thomas M. aus Rudolstadt (7. Oktober 2024 um 15:54 Uhr)
    Ich bin froh und stolz, die 40 Jahre der Existenz der DDR erlebt zu haben. Nur hier konnte ich, aus armen Verhältnissen kommend, meinen erfolgreichen Lebensweg gehen. Ein Studium mit auskömmlichen Stipendium absolvieren, wo gibt es das heute schon hier in diesem reichen Land. Gesicherte Lebensverhältnisse, Recht auf Arbeit, auf Bildung, ein vorbildliches Gesundheitssystem und ein Staat, dem der Frieden das oberste Gesetz war. Alles das war uns so selbstverständlich geworden, dass wir es nicht mehr wertgeschätzt haben, auch ich manchmal. So konnte alles das Gute den Bach hinuntergehen. Ja, wir haben uns kommandieren lassen, für den Frieden, wurde uns gesagt, und wegen der Vernunft und dem »großen Bruder«. Aber die eigenen Fehler beweisen nicht, dass unser Weg schlecht war, nein, wir haben unsere Siegchancen vertan und nun werden es die Jungen besser machen – irgendwann. Thomas
  • Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (7. Oktober 2024 um 15:15 Uhr)
    »Lasst das Licht des Friedens scheinen, das eine Mutter nie mehr ihren Sohn beweint.«
    Am 23. August 1990 beschloss die Volkskammer den Beitritt der DDR zur BRD. Die Mehrheit der Abgeordneten wollte keinen 41. Jahrestag der DDR mehr. In der Folge wurde der 3. Oktober zum Tag der Einheit. Vieles wurde ausgelöscht, was der DDR zur Weltgeltung verhalf. Sie war der einzige Staat, in der langen deutschen Geschichte, der keinen Krieg führte und keinen anzettelte. Das vereinte Deutschland praktiziert das Gegenteil. Man braucht nur an Jugoslawien, Afghanistan oder Syrien zu denken. Die DDR wurde deindustrialisiert. 1,4 Billionen D-Mark. Die Treuhand beseitigte 12.500 Betriebe und hinterließ 257 Milliarden D-Mark Schulden. Große Teile der Bevölkerung wurden so und weiterhin der Früchte ihrer Arbeit beraubt. Das Jahreseinkommen ostdeutscher Beschäftigter ist 12.775 Euro geringer als der westdeutschen Kollegen. Ruheständler in Ostdeutschland bekommen 6.300 Euro jährlich weniger als Westdeutsche. Statt Frieden und Wohlstand heißt das Programm der Herrschenden: Sozialabbau, Aufrüstung und Kriegsvorbereitung gegen Russland. Die Quittung für diese Politik erhielten die Berliner Regierenden mit den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie den 40.000 Teilnehmern bei der Friedensdemonstration am 3. Oktober in Berlin. Sie wurden abgewählt.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ursula M. aus Strausberg (7. Oktober 2024 um 21:52 Uhr)
      Die DDR existierte bekanntlich nicht im luftleeren Raum, sondern stand unter Dauerbeschuss aus dem imperialistischen Lager, welches ihr auf vielfältige Weise zu schaden versuchte, und besaß außerdem ab 1953 auch in der UdSSR keinen verlässlichen Partner mehr. Ich selbst verdanke der DDR vor allem, dass meine vier Kinder in Frieden heranwachsen konnten und ich auf ein zwar nicht immer leichtes, aber erfülltes Leben zurückblicke. Deshalb schließe ich mich einer Äußerung des Dichters Peter Hacks an. Er hatte es ebenfalls nicht immer leicht und schrieb trotzdem kurz vor seinem Tod: »Wessen sollten wir uns rühmen, wenn nicht der DDR?« Ursula Münch (Jg. 1929)
  • Leserbrief von M. Codelsky aus Zeitz (7. Oktober 2024 um 08:40 Uhr)
    Es ist vollkommen richtig, sich gegen die Kriegssucht dieser Bundesrepublik zu stellen. Es ist leider völlig falsch, das System der DDR als Friedensstifter hinzustellen. NVA-Soldaten standen seinerzeit einsatzbereit an der Grenze der damaligen Tschechoslowakei, bereit in das »Bruderland« einzumarschieren, um bei der Zerschlagung des Widerstands zu helfen. Dass es nicht soweit kam, lag lediglich daran, dass der »große« Bruder Sowjetunion keine Zustimmung gab. Die Bevölkerung der DDR war dem Frieden zugetan, von den Regierenden kann man das nicht sagen.
    • Leserbrief von Bernd-Jürgen Musow aus Trebbin (9. Oktober 2024 um 11:31 Uhr)
      Sie sollten sich besser informieren und nicht solchen Unsinn verbreiten. Die Beteiligung der NVA an den Geschehnissen 1968 in der Tschechoslowakei wurde von Walter Ulbricht abgelehnt. Er hatte das Oberkommando des Warschauervertrags informiert, dass die NVA aus der geschichtlichen Verantwortung heraus nicht in das Nachbarland gehen wird. Er verwies in seiner Note darauf, dass der Einmarsch deutscher Soldaten, und das waren nun mal NVA-Soldaten, unrühmliche Erinnerungen der tschechoslowakischen Bevölkerung hervorrufen würde. Selbstverständlich wurden die NVA-Verbände als Teil des Warschauervertrags an der Grenze in Alarmbereitschaft versetzt. Genau so wie die Bundeswehr in diesen Tagen als Teil der NATO. Verbreiten Sie hier also keine Legenden, die jeder Grundlage entbehren.
      • Leserbrief von M. Codelsky aus Zeitz (9. Oktober 2024 um 17:06 Uhr)
        Vielen Dank für Ihre kritischen Anmerkungen, ich habe mich vor meinem Schreiben informiert und beziehe mich einerseits auf die Nachforschungen des Historikers Rüdiger Wenzke. Herr Wenzke arbeitete schon zu Zeiten der DDR am Militärgeschichtlichen Institut der DDR. Er konnte mit den ehemaligen Offizieren der entsprechenden NVA-Divisionen sprechen und hatte ab 1990 Zugang zu den Archiven. Neben den Ergebnissen, welche Rüdiger Wenzke aufzeigen konnte, war zudem ein Familienmitglied in einer der beiden Divisionen als Soldat der NVA. Die gesamte Division wurde aktiv an die Grenze zur Tschechoslowakei verlegt. Walter Ulbricht war massiv enttäuscht, dass er von Leonid Breschnew eingebremst wurde. Nachdem ich nun Ihrer Kritik sachlich begegnet bin, können Sie ja gerne Ihre Quellen darlegen, welche zu der Annahme führen, dass Walter Ulbricht zwei Divisionen der Nationalen Volksarmee an die Grenze verlegen lässt, wenngleich er nie vorhatte, die Soldaten in die Tschechoslowakei zu schicken.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (7. Oktober 2024 um 07:24 Uhr)
    Wahre, auch selbstkritische Worte von Egon Krenz. Die Mär von der »gewaltlosen Revolution«, die zur Wiedervereinigung führte, ist genauso unsinnig, wie unwahr. Eine Revolution zeichnet sich dadurch aus, dass Neues entsteht. Die Okkupation der DDR durch Westdeutschland, die im Überstülpen des westdeutschen Systems über die DDR-Gesellschaft bestand, hat ganz und gar nichts Neues hervorgebracht. Der alte Westmief wurde den DDR-Bürgern als Erfüllung ihrer Träume verkauft. Eine Diskriminierung, die auch nach über 30 Jahren noch anhält, erzeugte anhaltende Ablehnung. Die Verteufelung des DDR-Systems hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun und die Verächtlichmachung der DDR-Biographien haben die ehemaligen DDR-Bürger als Degradierung zu Bürgern 2. Klasse wohlverstanden. Leider haben die Entscheider, die allesamt aus dem Westen stammen, bis heute nicht begriffen, was sie den Bürgern der ehemaligen DDR angetan haben. Die Krokodilstränen und der Hass gegen die Bürger im Osten Deutschlands, die demokratische Wahlen zur Meinungsäußerung genutzt haben, sind Ausdruck davon.
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (8. Oktober 2024 um 03:57 Uhr)
      » Eine Revolution zeichnet sich dadurch aus, dass Neues entsteht.« Wie wahr! Und eine Konterrevolution zeichnet sich dadurch aus, dass alte gesellschaftliche Zustände (Besitzverhältnisse) wieder hergestellt werden wie 1990. Friedliche Revolutionen gibt es meiner Meinung nach überhaupt nicht, weil die jeweils besitzende Klasse die friedliche Änderung der Besitzverhältnisse nicht zulässt. 1990 hatten wir in der DDR das Problem, dass abgesehen vom persönlichen Umfeld alles allen gehörte und sich zu wenige Menschen persönlich für das Gemeineigentum so richtig zuständig fühlten. Das Gefühl, Mitbesitzer des Volkseigentums zu sein, war zu sehr verloren gegangen. Bitte dann auch keine Klagen über die Treuhand, wenn der Mehrheit Gemeineigentum nach 40 Jahren sozialistischer Erziehung weniger wichtig war als persönlicher Konsum und mehr Reisefreiheit. Wer sich Räubern in die Arme wirft, ist selbst schuld. Friedliche Konterrevolutionen sind da eher möglich, denn es ist immer leichter und zeitweise sogar angenehm, sich eine Stufe fallen zu lassen und etwas schwer Begonnenes aufzugeben, als sich zu mühen, um sich eine Stufe zu erheben. Das erlebt jeder Mensch im Alltag.
  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (6. Oktober 2024 um 20:04 Uhr)
    Lieber Egon, von ganzem Herzen möchten wir Dir für den Beitrag danken. Engagiert, faktenreich und unbeugsam hast Du ein Plädoyer für die friedliebende DDR gehalten. Es bedarf keiner weiteren Worte, nur unser Kampf für Wahrheit und die Bewahrung des Erbes des ersten deutschen Friedensstaates. Raimon Brete und Matthias Schwander

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