Rückkehr zu harten Sanktionen
Von Gudrun GieseNicht einmal 16.000 Bürgergeldbezieher haben im letzten Jahr eine angebotene Arbeit verweigert. Da ist über deren Ablehnungsgründe noch gar nichts gesagt. 800.000 hingegen sind sogenannte Aufstocker. Das heißt, ihr Lohn ist so gering, dass sie zusätzlich auf die staatliche Stütze angewiesen sind. Obwohl der permanent angeführte Vorwurf, Bürgergeldbezieher würden Auflagen nicht einhalten, nur auf einen Bruchteil zutrifft, wollen Regierungs- wie Oppositionspolitiker den Druck auf alle verschärfen, die unglücklicherweise diese staatliche Leistung benötigen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der noch vor Jahresfrist stolz auf weniger Sanktionen beim Bürgergeld als zuvor bei »Hartz IV« verwiesen hatte, kehrte in der vergangenen Woche den Hardliner heraus: Wer »nicht mitzieht oder durch Schwarzarbeit betrügt, muss mit härteren Konsequenzen rechnen«, zitierte ihn AFP. Das Bundeskabinett billigte am 2. Oktober einen Beschluss, wonach Langzeiterwerbslose belohnt werden, wenn sie ein längerfristiges Arbeitsverhältnis aufnehmen und Unternehmen neue Anreize erhalten, Geflüchtete einzustellen. Andererseits werden die Sanktionen für jene deutlich verschärft, die nicht bei jeder Vorgabe durch die Jobcenter mitspielen. So soll das Bürgergeld umgehend um dreißig Prozent gekürzt werden können, wenn ein Bezieher eine als zumutbar definierte Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ablehnt. Statt wie bisher mit zehn Prozent Kürzung droht künftig beim Versäumen eines Termins im Jobcenter – ohne wichtigen Grund – eine Reduzierung der Leistung um dreißig Prozent.
Auch die Zumutbarkeitskriterien für die Aufnahme eines Jobs werden verschärft. Das betrifft vor allem die Dauer des täglichen Arbeitsweges. Laut Entwurf sollen tägliche Pendelzeiten von »insgesamt bis zu drei Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und insgesamt bis zu zweieinhalb Stunden bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden oder weniger betragen«. Bisher hieß es im Gesetz, dass ein Job nicht nur deshalb abgelehnt werden dürfe, weil der Weg länger als zur früheren Arbeitsstelle sei. Nach der Verschärfung soll künftig sogar ein Umzug unter bestimmten Voraussetzungen zumutbar sein.
Von der CDU/CSU lange beharrlich gefordert, folgt die Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nun deren Herzenswunsch und kürzt die Schonfrist für vorhandenes Vermögen. Waren Ersparnisse von Bürgergeldbeziehern bis zu einem bestimmten Höchstbetrag für ein Jahr geschützt, soll diese »Karenzzeit« in Zukunft nur noch sechs Monate betragen. Bürgergeldbeziehern, die einer nicht angemeldeten Tätigkeit, vulgo: Schwarzarbeit, nachgehen, soll ebenfalls die Leistung gekürzt werden. Laut Entwurf müssen die Jobcenter der Schwarzarbeit verdächtige Bürgergeldempfänger dem dafür zuständigen Zoll melden. Wodurch die Jobcenter Verdacht schöpfen könnten und wie sie diese Aufgabe personell bewältigen sollen, wird nicht ausgeführt.
Nach der Devise »Zuckerbrot und Peitsche« enthält der Entwurf nicht nur Sanktionsandrohungen, sondern auch einige Bonbons. So sollen Langzeiterwerbslose auf Antrag 1.000 Euro »Anschubfinanzierung« bekommen können, wenn sie einen Job annehmen und mindestens zwölf Monate in ihm arbeiten. Logischerweise könnte der Antrag dann erst nach einem Jahr gestellt werden, was aber dem Sinn einer Anschubfinanzierung entgegensteht. Auch dazu fehlt die genaue Auflösung. Unternehmensleitungen, die Geflüchtete mit geringen Deutschkenntnissen beschäftigen und für die Teilnahme an einem staatlich geförderten Sprachkurs freistellen, sollen wiederum einen »Entgeltzuschuss« erhalten können. Für Asylsuchende und Geflüchtete mit Duldung soll es leichter eine Arbeitserlaubnis geben.
Bei alldem geht es nicht nur darum, den Bezug von Bürgergeld möglichst unattraktiv zu gestalten, sondern zugleich um die Rekrutierung von Arbeitskräften – und zwar auch zu den miesesten Arbeitsbedingungen. Vornehmer drückte es freilich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Präsentation der »Wachstumsinitiative« der Bundesregierung aus: »Wir brauchen alles Wissen, alles Können, alle Erfahrungen und alle Einsatzbereitschaft der Menschen, die bei uns leben, wenn wir dem Arbeits- und Fachkräftemangel erfolgreich begegnen wollen«, sagte er laut AFP. Und weniger Bürgergeld wird auch noch ausgegeben.
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