Saat des Hasses
Von Kai KöhlerVor einem Jahr griffen Angehörige der Hamas israelisches Territorium an, ermordeten zahlreiche Menschen, die meisten davon Zivilisten, und nahmen Hunderte von Geiseln. Das Massaker mag durch die koloniale Situation erklärbar sein; im Gegensatz zu gängigen Behauptungen begann der Krieg nicht am 7. Oktober 2023. Es bleibt ein Verbrechen und ist nicht zu rechtfertigen. Leidtragende waren zunächst die Opfer dieses Angriffs, ihre Angehörigen und Freunde. Opfer sind seitdem vor allem die Zehntausenden, die aufgrund der rücksichtslosen israelischen Kriegführung im Gazastreifen, der Westbank und nun auch im Libanon sterben, sowie die Geiseln in israelischer »Administrativhaft«.
Gibt es Nutznießer? Die Hamas-Führung ist nicht naiv und dürfte einen harten israelischen Gegenschlag eingeplant haben; ob freilich in dieser Härte, ist ungewiss. Gewiss dagegen ist, dass ein Kalkül aufgeht: Die israelischen Bomben haben schon heute dafür gesorgt, dass an »Terroristen« in der nächsten und übernächsten Generation kein Mangel bestehen wird.
Hauptnutznießerin ist die teils faschistische israelische Regierung. Sie hat jenen Krieg bekommen, der ihr innenpolitisch das Überstehen sichert. Sie setzt in Gaza Mittel ein, die an genozidale mindestens grenzen. Vermutlich waren internationale Demonstrationen nicht nutzlos – verglichen mit den ersten Wochen sind Bombenkrieg und Hungerblockade leicht zurückgenommen worden. Doch spielt das Kriegsrecht weiterhin eine sehr geringe Rolle.
Strategisch wichtiger sind die Vorgänge in der Westbank, die allzu leicht aus dem Blickfeld verschwinden. Hier zeichnet sich ein Übergang ab von der israelischen Apartheidpolitik zu einer allmählichen ethnischen Säuberung, betrieben durch Siedlermob und israelische Armee, die kaum mehr unterscheidbar sind.
Schläge gegen die Führungen von Hamas und Hisbollah und gegen Repräsentanten des Iran verweisen allerdings auf das Hauptziel der israelischen Regierung: den Iran zu einer mehr als symbolischen Reaktion zu zwingen, damit einen Regionalkrieg zu entfesseln und eine direkte Beteiligung der USA herbeizuführen. In Washington scheint einerseits wenig Lust auf eine weitere Front zu bestehen – schon gegen Russland und China ist die Waffenproduktion ausgelastet. Andererseits gehen alle westlichen Ermahnungen, Israel möge nicht zu brutal vorgehen und sich endlich ernsthaft auf Verhandlungen einlassen, offenkundig ins Leere, solange nicht der Nachschub gestoppt wird.
Entscheidend ist nun, ob es dem Iran gelingt, zugleich das Gesicht zu wahren und die Eskalation zu begrenzen. Falls nein, besteht die weitere Gefahr, dass es nicht bei einem Regionalkrieg bleibt. Heute sind alle Konflikte, ungeachtet ihrer lokalen Ursachen, untrennbar verknüpft mit dem Versuch der USA und ihrer Verbündeten, ihre neokoloniale Hegemonie um wirklich jeden Preis zu behaupten. Mit jeder Zuspitzung an irgendeinem Ort auf der Welt steigt das Risiko, dass sich die einzelnen Kriege zu einem Weltkrieg verknüpfen.
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Leserbrief von Reinhold Schramm aus Berlin (9. Oktober 2024 um 17:00 Uhr)Antikommunismus und Antisemitismus heute. Die NS-Ideologie der jüdischen Weltverschwörung in modifizierter Neuauflage. Der Hass gegen Juden geht so weit, dass die gut situierten bürgerlichen Ideologen auch das Verbrechen vom 7. Oktober 2023 auf dem Territorium Israels der politischen und geheimdienstlichen Aktivität Israels unterstellen. So dient es in deren Vorstellungswelt dem zionistischen Ziel der territorialen Vertreibung der Palästinenser und der Errichtung eines Großisraels. Auch seien die Opfer auf israelischer Seite vor allem einer Ausführung israelischer Sicherheitskräfte bei der Vertreibung der palästinensischen Kämpfer geschuldet. So sollen auch die vorgeblich jüdischen Faschisten die Bestrebung verfolgen, über den Nahen Osten hinaus einen Weltbrand, einen dritten nuklearen Weltkrieg herbeizuführen, ein Armageddon; die Vernichtung der Menschheit. Dieser bürgerlich-ideologisch-demagogische Wahn wird auch von (pseudo-)linken Publizisten und Autoren verfolgt und modifiziert im Internet und in ihren Medien gepredigt. PS: Die deutschen und europäischen Antisemiten von vor 1945 wären zu Recht ganz stolz auf ihre Enkel. Sie konnten nicht nur Wurzeln in den Köpfen schlagen. Erinnern wir uns an die deutsche NS-Studentenschaft um 1933 und in Folge. Erzielten Sie doch an den Universitäten eine breite Mehrheit – so auch unter den deutschen Akademikern, die maßgeblich am bildungspolitischen, juristischen und gesellschaftspolitischen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland beteiligt waren. Die antikommunistische und antisemitische Linke ist heute stärker als die politische Rechte in Deutschland und Europa. Zeitgleich hat der bürgerliche Antikommunismus auch die Reste des Kommunismus in Europa nach 1990 beseitigt.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (8. Oktober 2024 um 12:18 Uhr)Nach dem Beginn des Gaza-Krieges ist des öfteren kommentiert worden, dass dieser Krieg die Wahlchancen Trumps verbessern und darum bis zur US-Wahl dauern könnte. Trump ist deutlich israelfreundlicher als die Demokraten. Er hatte den von Obama ausgehandelten JCPOA annuliert, die Annexion des Golan durch Israel anerkannt und die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt, hüsch auf der Grenze des Westteils gelegen und damit Ansprüche auf den Ostteil zementierend. Er trat für weitere Annexionen von Teilen der Westbank durch Israel ein, und sein Friedensplan umfasst nach einigen Meldungen auch eine Erweiterung des Gaza-Streifens durch Gebiete auf dem ägyptischen Sinai. Letzteres wäre eine gute Voraussetzung für Vertreibungspläne, wie sie aus dem Bereich der rechten israelischen Regierung geäußert wurden. Wo derart eine weitergehende Demontage des Völkerrechts winkt, könnten die evangelikalen Israelfreunde in den USA vielleicht tatsächlich das entscheidende Zünglein an der Waage werden. Mit Trump wäre ein Krieg gegen den Iran für Israel leichter zu führen. Eine Lösung der Probleme wäre das aber nicht. Nicht nur, dass neuer Hass in Nahost gesät wird. Die westliche Vorliebe für das Recht des Stärkeren hat auch anderwärts katastrophale Folgen, wie ein Blick auf den Ukraine-Krieg zeigt, den es ohne die völkerrechtsverachtende Aggressivität gewisser NATO-Staaten wohl nicht gegeben hätte.
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