Atempause vorbei
Von Gerrit HoekmanEs ist die dritte Bodenoffensive gegen das palästinensische Flüchtlingslager im Norden des Gazastreifens seit dem Beginn des Krieges vor einem Jahr. Am Sonntag morgen hat die israelische Armee Dschabalija mit Panzern umstellt, dem ging ein intensives, nächtliches Bombardement voraus. Laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium in Gaza wurden dabei mindestens 20 Menschen getötet. Weitere acht Palästinenser starben dort nach Angaben der Agentur WAFA am Montag durch israelischen Artilleriebeschuss. Im Moment halten sich schätzungsweise noch 300.000 Zivilisten im stark zerstörten Norden auf.
»Dutzende Explosionen durch Luftangriffe und Panzerbeschuss ließen den Boden und die Gebäude erzittern. Es fühlte sich an wie in den ersten Tagen des Krieges«, erzählte ein 52 Jahre alter Einwohner von Dschabalija der Agentur Reuters. Er werde mit seiner Familie jetzt nach Gaza-Stadt aufbrechen. Und wieder hatte die Armee Flugblätter über dem Flüchtlingslager abgeworfen, in denen die Menschen zum Verlassen ihrer Häuser in »sichere Zonen« aufgefordert wurden. »Diese alarmierende Entwicklung deutet darauf hin, dass sich die israelische Armee auf weitere Angriffe vorbereitet«, kommentierte der Journalist Moath Al-Kahlut vor Ort für den TV-Sender Al-Dschasira. Das von der Hamas geleitete Innenministerium in Gaza rief die Bevölkerung unterdessen auf, den Befehl zu ignorieren: »Israelische Behauptungen über die Existenz von Sicherheitszonen im südlichen Gazastreifen sind Lügen, da Israel in allen Gebieten der Enklave Verbrechen und Massaker begeht.« Auch nach Ansicht der Vereinten Nationen sind selbst die ausgewiesenen »Schutzzonen« nicht sicher.
Die israelische Armee erklärte, Geheimdienste hätten auf die »Anwesenheit von Terroristen und terroristischer Infrastruktur in der Gegend von Dschabalija (…) sowie auf Bemühungen der Hamas hingewiesen, ihre operativen Fähigkeiten in der Gegend wieder aufzubauen«. Dutzende von ihnen seien getötet und Waffenlager ausgehoben worden. Hamas, »Islamischer Dschihad« und andere kleinere Gruppierungen berichteten von Gefechten mit israelischen Soldaten. Dschabalija ist das größte der acht alten Flüchtlingslager im Gazastreifen, in denen Palästinenser leben, die bereits vor Jahrzehnten von Israel aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Inzwischen bestehen die Flüchtlingslager längst aus festen Häusern. Besser gesagt: Sie haben daraus bestanden. Denn ein Großteil ist in Schutt und Asche gebombt worden.
Bei den jüngsten Luftangriffen wurde auch der palästinensische Journalist Hassan Hamad getötet, als eine Bombe sein Haus in Dschabalija traf. Der erst 19 Jahre alte Hamad war unter anderem als freiberuflicher Reporter für Al-Dschasira tätig. Erst wenige Tage zuvor hatte er via Whats-App eine letzte Warnung aus Israel erhalten, die Dreharbeiten im nördlichen Gazastreifen sofort einzustellen, berichtete die Journalistin Maha Hussaini auf X. Sie teilte auf ihrem Account die Nachricht, die ihr Kollege erhalten haben soll und in der ihm Konsequenzen angedroht wurden, »falls er weiterhin Lügen über Israel« verbreite. Hamad wusste, in welcher Gefahr er sich befand. Er hielt sich deshalb vom Haus seiner Familie fern, damit sie nicht auch ins Visier der Armee gerieten, berichteten Kollegen auf X. Der junge Reporter ließ sich aber nicht einschüchtern und drehte weiter. Kurz vor seinem Tod habe er noch ein letztes Video geschickt. Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten wurden in einem Jahr Krieg mindestens 128 Journalistinnen und Journalisten getötet. Das Medienbüro im Gazastreifen zählt sogar 175 Tote.
Und immer wieder greift Israels Militär Schutzsuchende an. Bei einem Angriff auf eine Moschee in Deir Al-Balah im Zentrum des Gazastreifens wurden nach palästinensischen Angaben am Sonntag mindestens 26 Menschen getötet. In der Moschee und auf dem umliegenden Gelände hatten Kriegsflüchtlinge vergeblich Schutz gesucht. In einer nahegelegenen Schule, in der sich mittlerweile eine Notunterkunft befand, wurden weitere vier Menschen getötet. Israel behauptet, die »präzisen Schläge« hätten »Hamas-Terroristen« gegolten. Beweise wurden nicht vorgelegt.
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