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Aus: Ausgabe vom 08.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Jazz

Der große Posaunenschwindel

Luft, Wasser, Wärme, Schall: Das Vertigo Trombone Quartet jongliert mit den Elementen
Von Andreas Schäfler
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Posaunen oder nix: Vertigo Trombone Quartet

Was man alles aus einer Posaune herausholen kann, hat in Deutschland schon früh ein gewisser Albert Mangelsdorff klargemacht. Jetzt zeigen Nils Wogram, Andreas Tschopp, Bernhard Bamert und Jan Schreiner, wozu vier Posaunisten im Verbund fähig sind. Auf dem Papier allesamt waschechte Jazzer, grundsolide ausgebildet und vielseitig praxiserprobt, haben sie es schon fast zwangsläufig zu diversen Meriten gebracht – man kennt sie aus einschlägigen Big- und Smallbands. So hat Wogram über die Jahre seine vogelwilde Combo Root 70 etabliert, und Tschopp gehört zu Andreas Schaerers gefeiertem Ensemble Hildegard lernt fliegen.

Schon seit einer Dekade pflegen die vier ihre dicke Posaunenfreundschaft und sind darüber Männer in den besten Jahren geworden. Doch das Vertigo Trombone Quartet ist ihr Jungbrunnen, wo sie einem unverhohlen kindlichen Spieltrieb und unbändiger Neugier frönen. Auf ihrem dritten Album »Openness« zehren sie noch dazu von der gewachsenen Beständigkeit einer festen Formation. Bis auf sporadischen Schabernack von Tuba, Blockflöte und einer Melodica, die sich plötzlich rotzfrech ins Getümmel stürzt, ist man hier eine Stunde lang ausschließlich vier Posaunen ausgesetzt, ohne dass die Musik sich stilistisch je festlegen würde. Kann so etwas gutgehen?

Die Vertigos haben es, wie der Bandname souffliert, auf schwindelerregende Klänge abgesehen, treiben es aber dankenswerterweise immer nur bis knapp vors Ohrensausen. Es gab, speziell im Jazz, schon einige Vorläufer für solche instrumentale Inzucht. Zum Beispiel das prominent besetzte US-Posaunenquartett von Ray Anderson, Craig Harris, George Lewis und Gary Valente, das seinerzeit die phantastische Platte »Slide­ride« einspielte. War aber bezeichnenderweise ebenfalls kein reinrassiger Jazz. Sondern? Falsche Frage! Denn es geht in solchen Formationen primär um das Instrument als solches, und da ist eine möglichst demokratische Spielpraxis geboten. Auch im Vertigo Trombone Quartet wird nicht ermittelt, wer über die größte Virtuosität oder den längsten Atem verfügt. Es musiziert vielmehr so unbekümmert, als wäre jedes Stück ein weiteres Freispiel beim Flippern.

Da kann es auch passieren, dass den Tröten einfach mal nur heiße Luft entweicht. Die sich in der Folge zu perkussivem Geraschel verdichtet, aus dem unversehens ein melodisches Flüstern aufsteigt. Dann wieder schmettert das Blech volle Breitseiten und rast in waghalsigem Formationsflug übers Niemandsland. Nur gerade in der zehnminütigen Zeitlupenkomposition »Duality« gibt sich so etwas wie ein Spiritual zu erkennen. Oder spielt hier eine Marching Band, deren Mitglieder zuvor beim Frühschoppen etwas zu tief ins Glas geschaut haben?

Das löbliche Ansinnen, originelle Musik zu kreieren, hat oft fürchterlich steife Resultate zur Folge. Diesen neugierigen Posaunisten aber ist es hörbar eine Lust, gemeinsame Sache zu machen. Als säßen hier hochmotivierte Ruderer im Vierer ohne, und abwechselnd darf jeder mal den Schlagmann geben. Man verzeihe den Sportvergleich, aber es geht auf »Openness« tatsächlich sehr körperbetont zur Sache. Die Herren lassen ganz gern ihre Muskeln spielen, aber eben mit- und nicht gegeneinander. Als eingeschworenes Team ignorieren sie beharrlich die vorgeschriebene Regattastrecke und sämtliche Grenzen der Hoheitsgewässer von Jazz, Klassik oder Volksmusik. Statt dessen wird einfach mit den Elementen gespielt.

»Luft, Wasser, Wärme, Schall – hier und da und überall« hieß mal eine einschlägige und sehr erfolgreiche Wissensfibel für Kinder. Nach exakt dieser Devise wird zugkräftiges Hand- und vitales Mundwerk betrieben, und auch die Lungen, die Hälse, die Zungen und die Lippen haben gut zu tun. Dass das alles auch noch eine Sache des Oberstübchens ist, vor allem in der gegenseitigen Abstimmung im Quartett, soll nicht unterschlagen werden. Dank hellwacher Sinne finden die Posaunenschwindler nämlich ein übers andere Mal von einem beherzten Growl in den Groove und von einem krummen Beat in den Flow. Und im Klangfarbenreichtum sind sie dabei dem vierstimmigen Gesang sehr nah: viel enger mit einem Chor verwandt als etwa mit dem World Saxophone Quartet oder mit Hamiet Bluietts Clarinet Family, wo Kidd Jordan seine Kontrabass­klarinette mit dem langen Rüssel von einer Trittleiter herunter zu blasen pflegte.

Bei Nils Wogram, das soll auch noch gesagt sein, kann ein Volltreffer wie dieses Album kaum mehr überraschen. Von Anbeginn ist dieser Musiker vollkommen undogmatisch aufgetreten, hat mehr auf Reibungen als auf Reinheitsgebote gesetzt und erntet nun Frucht um Frucht seines Eigensinns. Bei den anderen drei Bandmitgliedern ist er in bester Gesellschaft. Und um die Posaunenvöllerei noch ein wenig zu erweitern: Leihen Sie auch mal Mathias Götz (Hochzeitskapelle, Le Millipede) und Florian Weiss (Woodism) ein Ohr oder zwei.

Vertigo Trombone Quartet: »Openness« (Nwog Records/Indigo)

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