Da war noch was
Von Pierre Deason-TomoryDie Anklage gegen den Radio-Dreyeckland-Redakteur Fabian Kienert ist endgültig vom Tisch. Das Landgericht Karlsruhe hat Ende September die von der Staatsanwaltschaft beantragte Revision gegen dessen Freispruch verworfen, weil die Ankläger keine Begründung vorlegen wollten oder konnten (junge Welt berichtete). Sie hatten Kienert – nach Razzien in Wohnungen und Radiosender im Januar 2023 – vorgeworfen, er habe eine verbotene Vereinigung unterstützt, als er in einem Artikel den Link zum Archiv der verbotenen Plattform »linksunten.indymedia.org« setzte. Die Staatsanwaltschaft hat nun also schriftlich, dass so etwas erlaubt ist. Ende der Geschichte? Nein, Kienert und ein zweiter Dreyeckland-Kollege wollen noch per Verfassungsbeschwerde klären lassen, ob die Durchsuchungen ein Verstoß gegen die Pressefreiheit waren. Der Sender wird auf Netzpolitik.org darüber hinaus mit der Forderung zitiert, es müssten auch politische Konsequenzen gezogen werden »aus dem Kampf der Staatsanwaltschaft gegen die Grundrechte«. Das wäre konsequent, trotzdem dürften die Juristen nicht befürchten, zum Faxen in den Keller versetzt zu werden. Sie taten letztlich nur, was sie tun sollen. Gut, dass auch andere ihre Arbeit machen, Leute wie die von Radio Dreyeckland zum Beispiel, die dafür schon mal vor Gericht gezerrt werden. Die tun das für uns.
Vorschläge für die Radiowoche: Volkswagen sollte Trambahnen herstellen, verlangen im Feature »Verkehrswende in der Autostadt« VW-Arbeiter, die keine Pkw mehr bauen wollen (DLF 2024, Di., 19.15 Uhr). Die Serie »Revolution in der Musik« lässt »Die russische Oktoberrevolution« ertönen, vertont u. a. von Edmund Meisel, Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew (Do., 9.05 und 23.03 Uhr, SWR Kultur). Auf subversive Eigenschaften, die dem »Bastelmedium Radio« innewohnen, verweist »Matrix« auf Ö 1: Vor hundert Jahren bauten Arbeiter in eigenen Klubs Empfangsgeräte, später löteten Piraten wie die von Radio Dreyeckland illegale Sendeanlagen zusammen (Fr., 19.05 Uhr). Der einmal als »hyperproduktiver Autor« unzureichend gewürdigte Dietmar Dath hat im Hörspiel »Maryam. Kein Nachruf für euch« (BR, NDR 2019, Sa., 18.05 Uhr, NDR Kultur) eine verdiente Würdigung gewürdigt, die ausbleiben musste, weil: »Eher bringe ich alle um.«
Tatsächlich getötet wird in der götterdämmrigen Oper »Gunlöd«, über deren Komposition ihr Schöpfer Peter Cornelius vor 150 Jahren verstorben ist, weshalb er die zwei konzertanten Aufführungen im Frühjahr im Staatstheater Mainz knapp verpasst hat (Sa., 20.03 Uhr, auf fast allen ARD-Kulturwellen). Ist der Mensch für andere Dinge reif, als nicht zu stehlen und nicht zu töten? Diese Frage stellen sich unterdrückte Untertanen in einem »Gespräch in Sizilien« im Hörspiel nach Elio Vittorinis Erzählung (SWR 2002, So., 18.20 Uhr, SWR Kultur). Sind die Deutschen für anderes reif als zu rauben und zu morden? Sie waren es nicht, als sie 1944 Hunderttausende von ungarischen Juden in die Gaskammern trieben, darunter auch die Mutter von George Tabori, die wundersamerweise zurückgeschickt wurde und Stoff lieferte für Taboris Erzählung »Mutters Courage« (NDR, RIAS, SDR 1979, So., 18.30 Uhr, DLF Kultur). 1986, direkt nachdem ihre Mutter verstorben war, hat sich Annie Ernaux mit einer Erzählung von ihr verabschiedet. Sie beschreibt sie darin »mit Zärtlichkeit, Abscheu und Schuldgefühl« als »Eine Frau«; Corinna Harfouch liest die Geschichte ab kommendem Montag in vier Folgen (DAV 2023, Mo., 9.04 und 19.04 Uhr, MDR Kultur).
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