»Dann roch es plötzlich nach Benzin«
Interview: Gitta DüperthalAm Sonntag gab es einen versuchten Brandanschlag auf die Räume der Freien Kurdischen Gemeinde, Nav-Berlin, mutmaßlich von türkischstämmigen Nationalisten verübt. Sie selbst waren zu dem Zeitpunkt dort anwesend. Tags zuvor, am Sonnabend, war es in dem Kulturhaus zu einem Polizeieinsatz gekommen. Stehen die beiden Ereignisse in einem Zusammenhang?
Aus unserer Sicht hat beides in dem Sinn miteinander zu tun, dass aktuell die staatliche Repression gegen Einrichtungen der kurdischen Community in der BRD zugenommen hat, ebenso rechte, nationalistische Angriffe. Ende September wurde zum Beispiel auf das Vereinslokal eines Kulturvereins im Hamburger Stadtteil St. Pauli geschossen. Zugleich wurde auch in der Türkei die linke Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (Dem) häufiger Ziel gewaltsamer Angriffe, wie einst ihre Vorgängerpartei HDP. Vor wenigen Tagen durchschlugen von Unbekannten abgefeuerte Kugeln die Fensterscheiben des Gebäudes des Dem-Bezirksverbands in Istanbul. Auch das politische Agieren des deutschen Staates ist als Hintergrund für diese antikurdischen Attacken zu werten: etwa vermehrte Abschiebungen in die Türkei von dort bedrohten Kurdinnen und Kurden. Obendrein genehmigte die Bundesregierung deutschen Konzernen aktuell Waffenlieferungen im Wert von mehr als 200 Millionen Euro. All das registrieren türkische Rechte und sehen sich zu Attacken ermutigt.
Wie wurden Sie auf den Brandanschlag auf das Kulturhaus aufmerksam?
Am Sonntag war ich dort, weil ich für eine parlamentarische Anfrage zum Polizeieinsatz am Samstag in dem Zentrum recherchieren wollte: Wieso stürmte die Polizei das Kulturhaus an einem ganz normalen Vereinstag mit Maschinenpistolen – und nahm dann auch noch zwei Personen dort fest, ohne Haft- oder Durchsuchungsbeschluss? Außer mir waren etwa 40 Personen anwesend, darunter Kinder und Jugendliche. Als ich eine Pause einlegte, um mir in der an der Fensterfront gelegenen Teeküche einen Tee zu holen, sah ich durch die milchigen Fensterscheiben, wie eine Person die Fassade mit einer Flüssigkeit übergoss. Dann roch es plötzlich nach Benzin. Weil ich im Februar 2018 einen rechten Brandanschlag auf mich überlebt hatte, als man das Auto direkt vor meinem Haus angesteckt hatte, rief ich sofort: »Wir müssen hier raus!« Wir informierten Feuerwehr und Polizei.
Wie verlief der Polizeieinsatz am Sonnabend?
Die Razzia dauerte zwei Stunden. Hüseyin Yılmaz, Kovorsitzender des Kulturhauses, von 1999 bis 2004 Bürgermeister der linken oppositionellen Partei HADEP in der kurdischen Stadt Agirî, und ein jüngerer Genosse, dessen Namen ich nicht kenne, wurden festgenommen und vier Stunden auf der Wache festgehalten – ohne dass die Polizei sie in Kenntnis setzte, aus welchem Grund. Es hieß nebulös, eine Beschwerde sei eingegangen. Wir gehen davon aus, dass all das politisch motiviert ist. Bis zum 10. Oktober finden die internationalen Aktionstage »Free Öcalan« mit Diskussionen statt: zu Frauenbefreiung, radikaler Demokratie, Ökologie, lokaler Selbstverwaltung, Gerechtigkeit; auf der Suche nach Lösungen für Krisen und Kriege weltweit.
Die Polizei zu rufen, die tags zuvor noch einen Einsatz gegen Nav-Berlin durchführte: Ist das nicht widersinnig?
Klar hatten genau aus dem Grund viele Anwesende nach der Razzia am Vortag Angst, Polizei und Feuerwehr zu rufen. Andere waren wie ich der Meinung, dass wir hier schließlich nicht in der Türkei sind, wo man es vorzieht, lieber selber einen Wasserschlauch zu nehmen und Spuren zu verwischen, als die Ordnungsmacht über einen Brandanschlag zu informieren. Es gilt, den Anschlag zu dokumentieren. Als Polizeibeamte unsere Anzeige aufnahmen, fragten sie bei der Zentrale nach Gründen für die Razzia vom Vortag, erhielten aber keine Auskunft.
Wie ist antikurdischer Repression in der BRD entgegenzuwirken?
Wir müssen sie sichtbar für die deutsche Bevölkerung machen: Die Bundesregierung exportiert Waffen an die Türkei, obgleich türkische Truppen Teile Nordkurdistans in Syrien und Südkurdistans im Irak neu besetzen. Die Türkei macht im Prinzip mit Kurdistan nichts anderes als Russland mit der Ukraine. Im Fall des NATO-Partners liefert die BRD allerdings dem Aggressor die Waffen.
Ferat Koçak ist Sprecher für Antifaschismus der Partei Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
Mehr aus: Inland
-
»Ruhm dem Widerstand«
vom 09.10.2024 -
Ein Balanceakt
vom 09.10.2024 -
Minderheit für Verbot
vom 09.10.2024 -
Das Elend hat sich vervielfacht
vom 09.10.2024 -
»Die Polizei löst keine Probleme«
vom 09.10.2024 -
Straßenbau hat Vorzug
vom 09.10.2024