Spaniens Monarchie wackelt
Von Carmela NegreteDie Regierung in Madrid müsse alle Dokumente freigeben, die noch unter Verschluss sind und den Putschversuch vom 23. Februar 1981 betreffen, der in Spanien als »23F« bekannt ist. Das forderte am Freitag die Generalsekretärin der linken Oppositionspartei Podemos, Ione Belarra, in einer Stellungnahme auf X. Die Gesellschaft sei bereits »volljährig«, und die Bürger hätten das Recht, über dieses entscheidende Kapitel in der Geschichte der jungen spanischen Demokratie »die Wahrheit zu erfahren«.
Die Spanier möchten schon lange wissen, welche Geheimnisse es in Verbindung mit dem Putschversuch gibt. Denn es gab schon immer den Verdacht, dass diese Ereignisse möglicherweise eine Inszenierung waren, um der Monarchie als Institution demokratische Legitimität zu verschaffen. König Juan Carlos Alfonso Víctor María de Borbón y Borbón-Dos Sicilias wurde nicht von einer konstituierenden Versammlung zum Staatsoberhaupt ernannt, sondern persönlich vom Diktator Francisco Franco vor dessen Tod.
Diese Kontinuität der Diktatur wäre ohne 23F zu offensichtlich gewesen: An diesem Tag ließ Oberstleutnant Antonio Tejero das Parlament von der Guardia Civil stürmen. Nach dem Tod Francos sollte angeblich wieder eine Diktatur eingeführt werden. Am kommenden Tag erklärte der König jedoch, dass das nicht wünschenswert sei, bat aber darum, nicht überzureagieren, um die Situation zu beruhigen. So gab es in Armee und Polizei nach den 40 Jahren des Franquismus keine personellen Konsequenzen, keine »Säuberung«. War das alles ein Plan, um die Öffentlichkeit zu täuschen?
Nun scheinen die Vorwürfe mehr als eine Verschwörungserzählung: Ein geleakter Mitschnitt eines Gesprächs des früheren Monarchen Juan Carlos mit seiner damaligen Geliebten, der Kabarettistin Bárbara Rey, spricht dafür, dass die Geschichte wahrscheinlich wahr ist. Der mittlerweile wegen eines Korruptionsskandals aus dem Amt geschiedene König erklärt darin, dass General Alfonso Armada, der wegen Vorbereitung des Putsches zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, »immer den Mund gehalten« habe, während der damalige Generalsekretär des Königshauses, Sabino Fernández Campo, das nicht so gut konnte. Armada hatte sich auf einen Landsitz in Galicien zurückgezogen und nie über die Geschehnisse gesprochen, während Fernández Campo einen anderen Verlauf angedeutet habe, als öffentlich bekannt. Auch Barbara Rey spielt darauf an, dass, wenn sie sprechen würde, Juan Carlos »seinen Posten verlieren könnte«. Das Audio wurde vermutlich in den 1990er Jahren aufgenommen.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses und weiterer Mitschnitte und auch das Medium werfen Fragen auf. Die Aufzeichnung wurde von einem ultrarechten Medium namens OK Diario veröffentlicht, das in der Vergangenheit auch falsche Informationen über Podemos verbreitet hatte. Generell sind rechte und konservative Medien in Spanien der Krone wohlgesinnt. Ende September hatte ein niederländisches Magazin Fotos des Königs mit Rey aus dem Jahr 1994 gedruckt, was einen Skandal in Spanien auslöste.
»Viel mehr Menschen werden erkennen, dass Spanien aufhören muss, eine Monarchie zu sein, um endlich eine Republik zu werden«, sagte Belarra am Montag, und Umfragen geben ihr recht. Laut dem Institut Electomania bevorzugen 54 Prozent der Spanier eine Republik gegenüber einer Monarchie. Dieses Ergebnis stammt vom 4. Oktober, also aus der Zeit vor dem Skandal, was vermuten lässt, dass die Zahl seitdem noch gestiegen sein dürfte. Im November will der abgesetzte König seine Memoiren veröffentlichen. Es bleibt abzuwarten, ob er darin etwas über 23F erzählen wird, das der bisherigen offiziellen Erzählung widerspricht.
23F und der Pakt des Schweigens über die Einzelheiten des Putsches gelten für die Kritiker der Monarchie als der Anfang des spanischen Zweiparteisystems. Zu den Audios gefragt, antwortete der frühere Premierminister Felipe Gonzalez vom sozialdemokratischen PSOE am Wochenende vor laufenden Kameras, dass er von ihnen nichts wisse und er sie sich »nun, da ich weiß, worum es in diesen Audios geht, noch weniger anhören werde«.
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