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Aus: Ausgabe vom 09.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Lesung

Kraniche über der Stadt

Ein bisschen Frieden: Eine musikalische Lesung mit Tino Eisbrenner in Bernau
Von Hagen Bonn
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Botschafter des Friedens: Tino Eisbrenner auf der Demo »Nie wieder Krieg« (Berlin, 3.10.2024)

Herbst in Bernau bei Berlin. Die schön herausgeputzte Stadt am nordöstlichen Rande der Großstadt lud zu einer musikalischen Lesung mit dem Künstler Tino Eisbrenner. Veranstalter war die ambitionierte örtliche Buchhandlung »Schatzinsel«, die als verlässlicher Kulturanker der Stadt regelmäßig zu kleinen, feinen Veranstaltungen einlädt, was auch dazu führte, dass die Inhaberin Sylvia Pyrlik vor zwei Jahren die Auszeichnung »Beste Buchhandlung Deutschlands« entgegennehmen durfte. Ort des Kunstgeschehens war einer der größten Gaskessel Deutschlands, der – nun denkmalgeschützt – eines der vielen Wahrzeichen der Stadt ist.

Die alte Kohlenhalle des ehemaligen Gaswerkes, jetzt vornehm weiß getüncht, atmete am letzten Septemberabend besondere Luft mit ihrem Gast. Zuvor noch ein paar Notizen zum Rahmen der musikalischen Vorstellung von Eisbrenners Buch »Kraniche«. Erst Ende April mussten wir in der Berliner Zeitung lesen, dass »der deutsche Musiker und Liedermacher Tino Eisbrenner« als Jurymitglied zu einem internationalen Musikfestival nach Moskau eingeladen wurde, »während russische Soldaten die ukrainische Stadt Odessa bombardieren«. Tja, wenn man Journalismus in Staatspropaganda transformiert, indem man eine sachliche Information moralisch auflädt und die Kunst des Weglassens kultiviert, dann hat die Hauptstadtzeitung treu ihre Pflicht getan. Rühren, Wegtreten!

Anders gesagt, was ist an Eisbrenners langjährigem Slogan »Musik statt Krieg« misszuverstehen? Wir wollen auch daran erinnern, dass Eisbrenner Unterzeichner und Hauptinitiator des offenen Briefs »Kultur ist Frieden, Frieden braucht Kultur« (2022) war. Dort gab er seine Meinung offen kund: Er wandte sich gegen die Verschärfung wirtschaftlicher und kultureller Russland-Sanktionen. Blöd, dass diese Meinung nicht in den bundesdeutschen Katalog erlaubter Auffassungen passt. Blöd, dass er ein Jahr vor der Jurytätigkeit selbst als Künstler am Festival teilnahm und mit seinem Wettbewerbsbeitrag Platz zwei belegte. Dieses Lied, »Kraniche«, ist ein sowjetisches Lied aus dem Zweiten Weltkrieg, welches im Wettbewerb neu interpretiert werden sollte. Es erzählt von den unzähligen gefallenen Soldaten und wie man sich vorstellen kann, dass sich die Gefallenen in Kraniche verwandelt haben und nun am Himmel zu sehen sind. Freilich reicht der historische Horizont der deutschen Bundesregierung und seiner »Außenministerin«, Eisbrenner mag den Namen nicht zu Papier bringen, weil er ihn dann vor Augen hätte, nicht so weit zurück. Was sind schon 27 Millionen tote Sowjetbürger im Zweiten Weltkrieg?

Eisbrenners Buch »Kraniche«, im letzten Herbst bei Edition Bodoni erschienen und Thema des Abends, verweist auf einen Moment, den wohl jeder Künstler als unvergesslich beschreiben würde: »Und als von der Bühne in Moskau die ersten Zeilen ihres Liedes auf Deutsch erklangen, erhoben sich die Sechstausend im Saal …« Und damit erfahren wir etwas von Eisbrenners Mission, wenn er meint: »Ich will Brücken bauen, wenn andere keine mehr bauen wollen. In den 1980er Jahren war es ähnlich, da übernahm der Sport diese Funktion, heute springt die Kultur dafür ein.« Das politische Umfeld dafür sei hierzulande freilich schwierig, wie Eisbrenner in seiner Lesung vermerkt. Die erwähnte »Außenministerin« stelle einen rhetorischen Rekord nach dem anderen auf, wenn sie binnen weniger Minuten Phrasen wie »russischer Angriffskrieg« und ihre Leier, wir müssten »wehrhaft« werden, im Maschinengewehrtempo unter die Leute bringe. Eisbrenner ist da lieber mit der Gitarre »bewaffnet«.

Die knapp zweihundert Menschen im Saal kennen ihren Tino. Seine Stimme, melancholisch bis kämpferisch-expressiv, erzeugt eine Atmosphäre, die zeigt, was es bedeutet, wenn jemand als »Botschafter« oder »Kundschafter für den Frieden« durch die Republik und ins Ausland tourt. Das ist politisch notwendig und kulturell ein Muss. Dabei sei an die Symbolkraft der Kranichvögel erinnert, wie sie Buchhändlerin Sylvia Pyrlik zum Eingang des Abends beschrieb. Sie werden weltweit als Boten gesehen, stehen als Symbol für das, was Menschen am meisten nötig haben: Frieden.

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