Alte Spielregeln
Von F.-B. Habel»Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt.« So Tucholsky 1930 in der Weltbühne. Weil Daniela Dahn, die 1999 als erste Frau mit dem Kurt-Tucholsky-Preis ausgezeichnet wurde, sich gern auf den Meister beruft, wandelte sie ihn spöttelnd so ab: »Wegen ungünstiger Witterung ist die westdeutsche Frauenemanzipation in die Grammatik verlegt worden.« Natürlich hat sie sich damit nicht nur Freunde gemacht, wie sie überhaupt immer wieder Gegenwind provozierte, seit sie nach einem Journalistikstudium in den siebziger Jahren beim DFF ins Berufsleben einstieg.
Zwei Tage nach Gründung der DDR wurde sie am 9. Oktober 1949 in Berlin geboren. Beide Eltern waren journalistisch tätig – Vater Karl-Heinz Gerstner bekannt u. a. durch seine Arbeit beim DFF-Magazin »Prisma«. Mutter Sibylle Boden war als Kostümbildnerin, Malerin und Buchautorin kreativ. Daniela Dahn verfolgte die Entwicklung in der DDR kritisch, blieb aber links, als sich Kollegen 1990 neu orientierten. Sie veröffentlichte viel diskutierte Essays, auch in zahlreichen Büchern, die sie auf Lesungen in der ganzen Bundesrepublik vorstellte. Dass sie damit immer wieder produktives Nachdenken anstößt, kann helfen, dass sich die Menschen in unserem geistig noch immer geteilten Land besser verstehen. Als die DDR 70 geworden wäre, analysierte sie: »Die Einheit war eine feindliche Übernahme auf Wunsch der Übernommenen. Für die Sieger war das schönste an der friedlichen Revolution, dass sie nichts revolutionierte. Das Neue bestand darin, den alten Spielregeln beizutreten.«
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