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Aus: Ausgabe vom 09.10.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Zunftwesen

Von Klaus Müller
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Hemmschuh der kapitalistischen Entwicklung. Das Haus der Zünfte in Bad Kissingen

Im Hochfeudalismus schlossen sich die städtischen Handwerker eines Gewerbes zu Organisationen zusammen, den Zünften. Sie wollten sich vor der Konkurrenz schützen. Nur ihre Mitglieder durften die Produkte des jeweiligen Handwerks in der Stadt verkaufen. Handwerker, die nicht der Zunft angehörten, die sogenannten Bönhasen, wurden boykottiert. Die Zünfte begrenzten die Zahl der Meister. Sie behinderten, dass sich ihnen Fremde anschlossen. Der Zunftzwang besagte auch, dass jeder Handwerker nur einer Zunft angehören durfte. Er durfte keine Güter herstellen, die eine andere Zunft produzierte, und keine Nebenbeschäftigungen ausüben. Jeder Zunftmeister durfte nur eine Werkstatt und einen Verkaufsstand in der Stadt unterhalten.

Zünfte bildeten sich ab dem 10. Jahrhundert zuerst in Italien, danach in Frankreich und Deutschland. In Mainz gründeten 1099 die Weber eine Zunft, in Worms 1106 die Fischer, in Köln 1128 die Schuhmacher. Die Zünfte ermöglichten Spezialisierung. Sie förderten die Arbeitsteilung zwischen den Berufen und stimulierten technische Neuerungen. Ihre Qualitätsstandards sicherten ein hohes Niveau der handwerklichen Produktion. Eine solide Ausbildung der Lehrlinge und die Wanderzeit der Gesellen erleichterten es, Produktionserfahrungen weiterzugeben und zu übernehmen. Die Zünfte legten die Technik, die Verfahren und Instrumente der Produktion fest, ebenso die Arbeitszeit, die Qualität der Waren, die Preise und die Zahl der Gesellen und Lehrlinge. Ein Meister, der Rohstoffe gekauft hatte, musste seinen Zunftgenossen auf Wunsch einen Teil des Materials ohne Preisaufschlag überlassen. Die Zünfte halfen zudem den in Not geratenen oder erkrankten Mitgliedern.

Seit Mitte des 13. Jahrhunderts kämpften die Zünfte gegen die städtischen Patrizier um die Beteiligung an der Stadtherrschaft. Im 14. Jahrhundert nahmen die Kämpfe oft die Form bewaffneter Auseinandersetzungen an. Manchmal gelang es den Handwerkern, städtische Ämter zu übernehmen oder dem Patriziat das Regiment über die Stadt zu entreißen. In Handelsstädten wie Lübeck, Hamburg, Nürnberg und Frankfurt am Main siegten die Patrizier.

Viele Zunftmeister missbrauchten ihre Macht, um die Handwerksgesellen zu unterdrücken. Ursprünglich als künftige Meister vorgesehen, konnten die Gesellen die für eine eigene Werkstatt benötigten Beträge bald nicht mehr aufbringen, weil die Meister durch hohe Eintrittsgelder und niedrige Löhne ihren Aufstieg erschwerten. Seit dem 15. Jahrhundert kämpften die Gesellen daher gegen die Zunftmeister. Sie organisierten Streiks und wurden verfolgt.

Das Zunftwesen erwies sich als nützlich, solange die einfache Warenproduktion dominierte und der Kapitalismus noch in den Kinderschuhen steckte. Das änderte sich, als sich frühkapitalistische Produktionsformen ausbreiteten und sich der Feudalismus gegen Ende des 15. Jahrhunderts aufzulösen begann. Die Reglementierungen und Einschränkungen der Zünfte widersprachen dem aufkommenden »Geist des Kapitalismus«. Sie hemmten die kapitalistischen Manufakturen. Bald konnten die Handwerker und ihre Zünfte die Nachfrage nach billigen Massenartikeln, vor allem der Textil- und Metallgewerbe, nicht mehr befriedigen. Die Massenproduktion der Manufakturen erwies sich als überlegen. Die Zünfte gingen bankrott und wurden von den Manufakturen aufgesaugt.

Während die Zünfte, um ihre Vorrechte zu wahren, das Feudalsystem verteidigten, schlugen sich die absolutistischen Fürsten auf die Seite der Manufakturen. Sie versprachen sich von ihnen höhere Steuereinnahmen und eine bessere Deckung des Heeresbedarfs. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland schließlich die Zunftprivilegien, vor allem der Zunftzwang, aufgehoben. Damit war der Weg frei für den Industriekapitalismus.

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