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Aus: Ausgabe vom 09.10.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Rechter Terror

Halle erinnert an Anschlag

Am 9. Oktober 2019 griff ein bewaffneter Neonazi eine Synagoge an und erschoss zwei Menschen
Von Kristian Stemmler
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Blumen für die Opfer des faschistischen Terrors (Halle, 13.10.2019)

Der fünfte Jahrestag des Anschlags von Halle an diesem Mittwoch tritt gegenüber dem Jahrestag des Angriffs der Hamas in Israel in den Hintergrund. Der 7. Oktober war für Politik und Medien in erster Linie Anlass, die rapide Zunahme von Antisemitismus zu beklagen. Was zugenommen hat, ist vor allem der Rückgriff auf die sogenannte IHRA-Definition von Antisemitismus, die auch Kritik an Israel als antisemitisch kennzeichnet, in Statistiken. Vor diesem Hintergrund geht weitgehend unter, dass der Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 ein antisemitischer und rassistischer Anschlag eines bewaffneten Neonazis war – und dass der Antisemitismus von rechts die größte Gefahr für Juden in Deutschland ist.

Das Gedenken an das Attentat vor fünf Jahren, dem zwei Menschen zum Opfer fielen, dürfte vor diesem Hintergrund von einem unzureichenden Verständnis von Antisemitismus geprägt sein. Weiterführende Analysen sind von der städtischen Gedenkveranstaltung in der Konzerthalle Ulrichskirche am Mittwoch nachmittag jedenfalls nicht zu erwarten. An der Veranstaltung nehmen unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, teil.

Am 9. Oktober 2019 hatte der schwerbewaffnete Stephan B. Sprengsätze über die Mauer des Synagogengeländes geworfen und versucht, in das Gotteshaus einzudringen. Dort feierten mehr als 50 Gläubige den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Als das Eindringen misslang, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin und tötete beim Angriff auf einen nahe gelegenen Dönerimbiss einen 20jährigen. Zudem verletzte und traumatisierte er zahlreiche weitere Menschen, ehe er nach rund eineinhalb Stunden gefasst wurde. B. wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle, in deren Synagoge der Attentäter Stephan B. damals erfolglos einzudringen versucht hatte, nutzte den Jahrestag nicht, um etwa auf die Motive des Täters einzugehen. Vielmehr erklärte er gegenüber dpa, dass nach den Angriffen der Hamas in Israel vor einem Jahr der »Staudamm von Antisemitismus« gebrochen sei: »Es läuft eine absolut unvorstellbare antisemitische Welle überall. Das ist das, was uns sehr beunruhigt.« Es gebe Anfeindungen, E-Mails auch mit Morddrohungen, alles insbesondere seit dem 7. Oktober 2023.

Im Hof der Synagoge soll es an diesem Mittwoch ein stilles Gedenken geben, zu dem die Jüdische Gemeinde eingeladen hat. Zuvor werden Kränze niedergelegt, um an die Opfer zu erinnern – um ein Zeichen gegen Antisemitismus und für mehr Solidarität zu setzen. Zum Zeitpunkt der ersten tödlichen Schüsse um 12.03 Uhr sollen stadtweit die Kirchenglocken läuten. Straßenbahnen und Busse werden anhalten, Durchsagen die Menschen über das Anschlagsgedenken informieren. Am Abend wird zu einer Andacht mit Musik auf den Marktplatz eingeladen. Sie wird von der Stadt, dem Evangelischen Kirchenkreis Halle-Saalkreis und der Jüdischen Gemeinde zu Halle gestaltet.

Der Gedenktag wäre ein guter Anlass gewesen, über die Wirkungsweise und Verbreitung rechter Erzählungen und Antisemitismus zu diskutieren. Der damals 27jährige Attentäter hing Verschwörungsmythen an, so der Erzählung vom »Großen Austausch«, die vom französischen Schriftsteller Renaud Camus konzipiert wurde und in faschistischen Kreisen weitverbreitet ist. Bei seiner Haftvorführung erklärte er, dass Juden die Weltherrschaft anstrebten und einen Austausch der weißen Bevölkerung durch Flüchtlinge und Migranten planten. Eine Verschwörungserzählung, die er mit anderen Rechtsterroristen teilte. So zum Beispiel mit dem Attentäter von Christchurch, der im März 2019 islamische Zentren in Neuseeland angegriffen und 51 Menschen ermordet hatte, und den B. bewunderte. Wie dieser trug der Attentäter von Halle eine Kamera bei sich und streamte seine Tat live im Internet. Er verfasste ein Manifest, auch in der Hoffnung, seine Tat werde Nachahmer finden.

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