»Die Betroffenen haben keine Kontrolle darüber«
Interview: Gitta DüperthalDie gesetzlichen Krankenkassen führen ab 15. Januar 2025 die elektronische Patientenakte, ePA, für Versicherte ein. Sofern die nicht persönlich widersprechen, legen sie deren lebenslange Akte auf zentralen Servern ab. Welche Gefahren könnten damit Patienten drohen?
Zunächst gibt es einen Kreis von Berechtigten, der auf alle Daten zugreifen kann, wobei auch Missbrauch möglich wäre. Oder vielleicht möchte man ja beispielsweise nicht, dass auch der Zahnarzt über alle anderen ärztliche Behandlungen Bescheid weiß. Daten können zur Forschung verwendet werden. Bei heiklen Erbkrankheiten, die etwa auch für Familienmitglieder eine Rolle spielen, sind diese in Mitleidenschaft gezogen. Das kann etwa dazu führen, dass eine Versicherung das Risiko nicht übernehmen möchte, und den Betroffenen ausschließt. Als Vorerkrankungen gelten alle Beschwerden und Erkrankungen, die vor Antragstellung bekannt waren. Das gilt etwa für private Lebens-, Berufs-, Erwerbsunfähigkeits- oder Pflegerentenversicherungen. Bei gesetzlichen Versicherungen weiß man heute nicht, wie sie zukünftig aufgestellt sein werden. Aktuell belohnen sie bereits besonders gesund Lebende mit Bonuspunkten. Aus meiner Sicht ist all das im Grunde unvereinbar mit dem Solidaritätsprinzip. Gesundheitsdaten stellen einen immensen Wert dar und wecken Begehrlichkeiten. Sind sie erst einmal in der Welt, ist das nicht mehr ungeschehen zu machen. Werden die Datenbanken gehackt, hilft keine gesetzliche Regelung mehr. Die Betroffenen haben keine Kontrolle darüber.
Wer könnte an den Daten interessiert sein?
Vergleichsweise harmlos: Anbieter von Gesundheitsprodukten könnten plötzlich Werbung für Produkte senden, die exakt auf die persönlichen ärztlichen Befunde zugeschnitten sind. Menschen könnten jedoch auch erpressbar werden, wenn ihre Daten öffentlich sind. Bei einem gebrochenen Arm ist es weniger problematisch, wenn das publik wird. Andere Krankheitsbilder sind gesellschaftlich stigmatisiert: Wer möchte schon, dass alle Welt weiß, dass man in psychotherapeutischer Behandlung ist? Das könnte beispielsweise konkret zum Problem auf dem Arbeitsmarkt führen. Entwendete Daten können für Identitätsdiebstahl, Rufschädigung oder zwecks Diskriminierung bei der Vergabe von Krediten, Versicherungen, Arbeitsplätzen usw. missbraucht werden.
Könnten im Fall eines Widerspruchs Patienten Nachteile für deren medizinische Versorgung entstehen?
Per Gesetz dürfen ihnen daraus keine Nachteile entstehen. Ihre Ärzte und Therapeuten speichern weiterhin die notwendigen Informationen in ihren praxisinternen Akten, um ihnen die bestmögliche Diagnose und Unterstützung zu bieten. Möglicherweise wird damit gelockt, dass es für sie einfacher wird, wenn ihre Daten bereits beim Arzt vorhanden sind, sie diese nicht persönlich hinbringen müssen. Ich persönlich mache das allerdings gerne, weil ich so selber die Kontrolle darüber habe. Selbst wenn in manchen Praxen die Nase darüber gerümpft und es als altmodisch bezeichnet wird!
Wie verhält es sich mit dem elektronischen Rezept?
Das ist unabhängig von der ePA. Viele Ärzte haben es längst eingeführt: Man geht mit der Gesundheitskarte, auf der das Rezept gespeichert ist, in die Apotheke. Im Fall eines Ausfalls der Technik muss es aber eine Lösung geben. Freilich kann man darum bitten, es auf Papier zu erhalten.
Kann man der Einrichtung der ePA widersprechen?
Wollen Menschen keine elektronische Patientenakte, müssen sie es ihrer Krankenkasse ausdrücklich mitteilen. Man kann entweder der Akte insgesamt widersprechen oder etwa nur der Nutzung der Daten für die Forschung. Jeder muss es für sich selber entscheiden. Auf der Webseite widerspruch-epa.de haben wir einen Generator eingerichtet, der dabei hilft, die Widerspruchserklärung zu formulieren. Man reicht den Widerspruch am besten ein, nachdem die Krankenkasse einen über Widerspruchsmöglichkeiten informiert hat und bevor diese eine ePA angelegt hat. Tut man es früher, nimmt die Kasse den Widerspruch möglicherweise noch nicht an; später aber kann die ePA bereits eingerichtet, befüllt und genutzt worden sein.
Bernhard Scheffold ist Kovorsitzender des Vereins Patientenrechte und Datenschutz e. V.
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Nach meinem Verständnis soll die ePA ja vor allem in Notsituationen helfen und ärztliche Mehrfachuntersuchungen vermeiden. Dass dabei neben den Ärzten auch Forschungseinrichtungen, evtl. Statistiker, die Pharmaindustrie und ministerielle Einrichtungen ungefragt darauf zugreifen könnten, macht mir Angst.
Wie wäre es mit einem vorgegebenen Faltbogen, der die allerwichtigsten Daten enthält wie: Vorerkrankungen, regelmäßige Einnahme/Verabreichung von Tabletten, Vorhandensein von Herzschrittmacher und Gelenkprothesen, besondere Krankheitsbilder, erhöhte Blutwerte, Grundimpfungen, Erklärung zur Organspende u. ä. Alles selbst ausgefüllt/angekreuzt und evtl. durch den Hausarzt bestätigt. Dieses möglichst kurze und übersichtliche Faltblatt (ähnlich dem Bonusheft zur Zahngesundheit) sollte jeder mit seinem Personalausweis und seiner Gesundheitskarte stets bei sich tragen. Das wäre für Rettungsärzte und Sanitäter schnell zugreifbar. Es klingt unmodern, ist aber bis dahin datenmäßig besser geschützt als in den elektronischen Medien. Außerdem ist bei der ePA bislang nicht klar, ob die Ärzte/Schwestern überhaupt – statt gesundheitlicher Betreuung – Zeit für die Ausfüllung investieren können, da in den Praxen bei weitem nicht alles elektronisch gespeichert ist und mit einigen Klicks zu erledigen wäre.