»Aus dem Schmerz kann Neues entstehen«
Von Hagen BonnDie DDR ist seit 34 Jahren Geschichte, aber im Osten hat man den Eindruck, dass sie fest in den Köpfen der Menschen verankert ist. Können Sie das erklären?
Es ist die eigene Prägung und Identität. Ich habe mit diesem Begriff der Identität lange meine Schwierigkeit gehabt, weil er missbraucht wurde und wird, aber es ist das, was wir erfahren haben durch unser soziales Umfeld, und es ist die Geschichte, die wir von uns erzählen. Diese ostdeutsche Identität hat viele positive Aspekte, aber auch kritisch zu sehende, sie ist daher komplex und nicht nur schwarz und weiß. Das Ende der DDR 1989 begann zunächst hoffnungsvoll, denn es ging um Veränderung, um das Aufbrechen von Verkrustungen in diesem Land, und es ging um das verlorengegangene Vertrauen zwischen Staat und Volk. Was dann aber folgte, war eine rasante Übernahme durch die Bundesrepublik, damit entwertete man nicht nur das Land, sondern auch die Menschen darin. Diese Entwertung, die bei vielen in die Arbeitslosigkeit mündete. Diese kaum zu bremsende Rücksichtslosigkeit in der Konfrontation mit bundesdeutschen Strukturen und Gesetzen war ein Schock für viele Menschen im Osten und führte zu einer Identitätskrise, führte zu Schweigen und Resignation.
Und aus dieser Identitätskrise formte sich demnach die typisch ostdeutsche Identität?
Ja, dieser Schmerz musste artikuliert und ernst genommen werden. Heute kann daraus etwas Neues entstehen, und ich denke, dass diese spezielle Prägung des Ostens sehr bereichernd und wertvoll sein kann, um das vereinte Deutschland besser zu gestalten. In dieser Erzählung sollte man aber auch ehrlich sein und erwähnen, dass die Mehrzahl der Menschen in der DDR diese Vereinigung mit der BRD durch die Verlockungen des Konsumismus bewusst gewählt hat, nur die Folgen waren ihnen nicht klar.
Als Sie 1990 Ihr Studium an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock aufnahmen, wurde die DDR gerade zu Grabe getragen. Wie war das in Rostock?
Unsere Hochschule, zunächst noch Außenstelle der Berliner, wurde gleich zum Jahreswechsel 1990/1991 von dieser »abgestoßen«. Damit musste sich sehr schnell das Land Mecklenburg-Vorpommern um die Strukturen kümmern. Und Maßstab waren natürlich vergleichbare Schauspielschulen Westdeutschlands. Es musste also nicht nur ein Fördertopf für die Hochschule eingerichtet werden, auch die Lehr- und Stellenkonzepte wurden westkonform übernommen.
Das bedeutete nicht nur Abbau von Stellen und weniger Fächerumfang, nein, denn kurz vor der Sommerpause 1992 erfuhren wir, die Schule sollte durch Beschluss des Landes abgewickelt werden. Wir waren plötzlich die letzten Studenten an einer sterbenden Schule.
Aber dann entwickelten diese wenigen Studenten einen unglaublichen Protest, und das über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. So konnten wir mit Hilfe der damaligen PDS, mit Vorsprachen bei allen Fraktionen und vielen Abgeordneten des Landtags erreichen, dass die Gründung einer »Hochschule für Musik und Theater« beschlossen wurde. Und die gibt es bis heute.
Sie wirkten als Schauspielerin in der Reihe »Geschichte Mitteldeutschlands« 2010 etwa in der Folge zu Karl Liebknecht mit. Wie fühlt man sich als Rosa Luxemburg?
Es war ein Geschenk. Rosa Luxemburg begleitet mich seit vielen Jahren. Einer meiner ersten Texte in Sprecherziehung war der sehr berührende Gefängnisbrief über den Büffel. Ich habe mich viel mit ihr beschäftigt, später eine Lesung ihrer Briefe zusammengestellt und war dann sehr beglückt, diese Rolle spielen zu dürfen. Es weckt nicht nur revolutionäres Potential.
Doreen Kähler, Schauspielerin, in Rostock geboren, studierte von 1990 bis 1994 an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Anschließend Theaterengagements in Radebeul, Dresden und Leipzig und Filmproduktionen. Heute Freiberuflerin in Berlin. Sie moderierte am 5. Oktober 2024 das Podium der Festveranstaltung »75 Jahre DDR. Was bleibt?« in Berlin
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