Herz und Motor
Von André DahlmeyerAnfang der 70er Jahre dominierte in der Champions League, die damals noch Europapokal der Landesmeister hieß, klar der niederländische Fußball. 1970 gab es mit Feyenoord Rotterdam einen Überraschungssieger. Der Norden begann mit Kawumms, die Vorherrschaft zu übernehmen. Erst 1985 sollte mit Juventus Turin wieder ein Team aus Südeuropa die Königsklasse gewinnen. Trainer des niederländischen Arbeitervereins war damals der Wiener Grantler Ernst Happel. Feyenoord besiegte im Mailänder San-Siro-Stadion Celtic Glasgow (Sieger von 1967) nach Verlängerung mit 2:1. Auf dem Weg dahin verlor die Happel-Elf u. a. im Viertelfinalhinspiel mit 0:1 beim FC Vorwärts Berlin in der Hauptstadt der DDR.
Im Jahr darauf sorgten die Rotterdamer erneut für eine Überraschung: Gegen den rumänischen Nobody UTA Arad ereilte die Hafenstädter nach zwei Remis bereits das Erstrundenaus. Ajax Amsterdam sprang in die Bresche. Das von Rinus Michels trainierte Starensemble aus der Hauptstadt entzauberte 1971 im Wembley-Finale das von Ferenc Puskás trainierte Panathinaikos Athen mit 2:0. Auch die kommenden beiden Landesmeisterpokale gingen nach Amsterdam. Trainer war nun der Rumäne Ștefan »Piști« Kovács. Hatte Rinus Michels das von dem Engländer Jack Reynolds bereits zwischen 1915 und 1949 (seinerzeit als Trainer bei Ajax) entwickelte Spielkonzept des »Voetbal totaal« neu definiert, verfeinerte es Kovács zur Perfektion – jeder Spieler durfte bzw. musste machen, was er konnte. Wichtigste Umstellung: Der offensive Rechtsverteidiger Johan Neeskens, eher ein klassischer Achter, wurde von Kovács ins zentrale Mittelfeld beordert, wo er als eine Art Zehner spielte, vor allem aber dafür zuständig war, Johan Cruyff die Bälle aufzulegen oder durchzustecken.
1972 erreichte Ajax Amsterdam ungeschlagen das Landesmeisterfinale in Rotterdam, lediglich Dynamo Dresden und Benfica Lissabon hatten den Niederländern Nullnummern abringen können. Inter Mailand, Gewinner 1964 und 1965, blieb nach zwei Cruyff-Toren chancenlos. Europaweit schrieben die Zeitungen vom »Tod des Catenaccio und Triumph des Totalen Fußballs«. 1973 erreichte Ajax erneut das Finale, diesmal in Belgrad. Im Finale gegen das Juventus Turin von Dino Zoff, Fabio Capello, Roberto Bettega und Edeltechniker Helmut Haller (sechs WM-Tore 1966) gelang Johnny Rep nach fünf Minuten der einzige Treffer. Ajax gewann zum dritten Mal in Folge den Pott. Das war bis dahin nur Real Madrid gelungen, wobei der in Wanne-Eickel geborene Amsterdamer Torwart Heinz Stuy in keinem der Finals einen Gegentreffer kassierte. Hinzu kam 1972 der noch viel wichtigere Gewinn des Weltpokals gegen Club Atlético Independiente aus Avellaneda (Vorort von Buenos Aires).
Obgleich es sich um Teamerfolge handelte – entscheidend war das Traumtandem Neeskens/Cruyff, das sich blind verstand und die Fußballwelt verzückte (zwei Popstars, Kippe, lange Haare). So auch in der Elftal, der nationalen Auswahl, die vor 50 Jahren mit Hurrafußball ins WM-Finale in München zog. Erstmals seit 1938 hatten sich die Niederlande wieder für eine WM-Endrunde qualifiziert. Cruyff war das Filetstück der Niederlande, Neeskens das Herz, der Motor, der das Mittelfeld und damit das Uhrwerk am Laufen hielt. Cruyff wurde von Uli Hoeneß im Strafraum umgehauen, keine Minute gespielt, kein deutscher Spieler hatte den Ball bis dahin berührt – Elfmeter. Johan Neeskens, gerade mal 22, schnappte sich die Pille und donnerte sie Sepp Maier mit Vollspann in den Kasten wie nur irgendwas: mittig, stramm geschossen, mit Lust an Gloria und Gloriette im Bauch. Fünf Treffer notierte Neeskens bei der WM, drei davon Elfmeter, alle ähnlich geschossen. Sepp Maier: »Der hat in den Boden getreten. Das war eine richtige Staubwolke.« Ist Daffy Duck ein Niederländer? Am Ende gewann mal wieder nicht der schöne Fußball.
Cruyff folgte Michels nach Barcelona, Johan Segundo (II.) folgte König Cruyff. Die drei waren eine Einheit. Neeskens, der eigentlich vom Baseball kam (daher seine Sliding Tackles), der Vater Hochofenarbeiter, war der Mann fürs Grobe mit dem härtesten Schuss der Welt, Beidfüßer, enorm kopfballstark, rattenschnell, mit vertikalem Blick und großem Taktikverständnis. Neeskens war der Perkussionist des Orchesters, Cruyff spielte die Violine. In seinem letzten Spiel für Barça gewann er 1979 den Europapokal der Pokalsieger gegen Fortuna Düsseldorf mit 4:3 nach Verlängerung (Cruyff war da schon in den USA), an der Seite von Westdeutschlands Henker bei der WM 1978, Hans Krankl. 30.000 Culés waren zum Finale nach Basel gepilgert, wo sie dem ersten internationalen Triumph des FC Barcelona beiwohnten. Nichtsdestotrotz wurde Neeskens hernach von Barças Präser Núñez geschasst, um Platz für den Gladbacher Allan Simonsen zu machen, der freilich 1982 vor Diego Maradona floh, von drei Ausländern durften nur zwei spielen, und da war ja noch Bernd Schuster.
Johan Jacobus Neeskens ist am Sonntag überraschend mit 73 Jahren in Algerien gestorben, wo er für den niederländischen Verband mit benachteiligten Kindern arbeitete. Zwischen 1970 und 1981 bestritt er 49 Länderspiele (eins mehr als Cruyff), zwölf WM-Spiele und erzielte dabei insgesamt 17 Tore. Er wurde zweimal Vizeweltmeister.
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