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Aus: Ausgabe vom 11.10.2024, Seite 1 / Titel
Ukraine

Selenskij ohne Plan

Ukrainischer Präsident reist durch Europa. Kiew dementiert derweil Berichte über Kompromissbereitschaft
Von Reinhard Lauterbach
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Was denn nun? Friedensverhandlungen – ja oder nein? Der ukrainische Präsident am Donnerstag zu Beratungen in London

An der Front sieht es für Kiew gegenwärtig schlecht aus. Das Verteidigungsministerium in Moskau vermeldete am Donnerstag einen weiteren herben Rückschlag für die Ukraine. Demnach sei ein von den USA geliefertes »Patriot«-Luftabwehrsystem schwer beschädigt worden. Von dem kostbaren Kriegsgerät, unverzichtbar für die Abwehr russischer Raketen und Drohnen, verfügte Kiew offiziell über lediglich fünf Exemplare. Und das war nicht die einzige schlechte Nachricht. Allerorten vermelden russische Truppen zur Zeit Geländegewinne: ob im Bezirk Saporischschja oder im Osten von Charkiw, wo russische Truppen auf den Fluss Oskil vorstoßen.

Schlechte Voraussetzungen also, um einen »Siegesplan« vorzustellen, wie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij es diesen Sonnabend bei einem weiteren Kriegsrat mit seinen maßgeblichen westlichen Verbündeten auf der US-Basis Ramstein bei Kaiserslautern vorhatte. Die Zusammenkunft wurde denn auch am Mittwoch zunächst einmal »auf unbestimmte Zeit verschoben«. Als Grund dafür angegeben wird allerdings die Entscheidung von US-Präsident Joseph Biden, sein Erscheinen wegen des über Florida tobenden Hurrikans »Milton« abzusagen, da seine Anwesenheit im Lande erforderlich sei. Auffällig ist aber, dass Biden weder seine Stellvertreterin Kamala Harris noch seinen Außen- oder Verteidigungsminister als Vertretung in die Pfalz entsandt hat.

Selenskijs »Siegesplan« ist den westlichen Verbündeten kein Geheimnis mehr. Ihn hatte der ukrainische Präsident bereits Ende September intern bei einem Besuch in Washington präsentiert. Mit seinem Wunsch, westliche Waffensysteme auch gegen Ziele im Inneren Russlands einsetzen zu dürfen, war er dabei jedoch nicht durchgedrungen. Inzwischen hat Selenskij auch den sogenannten zweiten Friedensgipfel annulliert, den er bis Ende des Jahres veranstalten wollte. Hat er womöglich seine Siegesgewissheit verloren?

»Im Oktober, November und Dezember haben wir eine echte Chance, die Situation in Richtung Frieden und dauerhafte Stabilität zu bewegen«, verkündete Selenskij am Mittwoch per Kurznachrichtendienst X und stellte ein »Ende des Krieges« bis 2025 in Aussicht. Trotz der Ramstein-Absage war er am selben Tag zunächst nach Kroatien gereist, um dort an einem Osteuropa-Ukraine-Gipfel teilzunehmen. Am Donnerstag machte er dann London, Paris und Rom seine Aufwartung. Diesen Freitag wollte er Papst Franziskus die Hand reichen und dann nach Berlin weiterreisen.

Die Kurznachricht und der »Aktivismus« des ukrainischen Kriegsherrn verleiteten das italienische Blatt Corriere della Sera am Donnerstag zu einem gewagten Bericht: Selenskij sei mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, »dass es jetzt an der Zeit ist, nach einem Ausweg (aus dem Krieg) zu suchen, der die Ukraine nicht in die Knie zwingt und sie in Zukunft neuen Aggressionen Russlands aussetzt«. Gegen »umfassende Sicherheitsgarantien des Westens« und das feste Versprechen einer EU-Mitgliedschaft wäre man bereit, einer Waffenruhe und einem Einfrieren des Konflikts unter Wahrung des jetzigen Frontverlaufs zuzustimmen.

Die Meldung, die in Deutschland unter anderem von Springers Bild weiterverbreitet wurde, hat nur einen Haken: Das Präsidialamt in Kiew dementierte sie laut der ukrainischen Internetseite Strana sogleich. Maßgeblich für die ukrainische Strategie sei weiterhin der von Selenskij ausgearbeitete »Siegesplan«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (11. Oktober 2024 um 08:58 Uhr)
    Zunächst als »Friedensplan« kolportiert, war das wohl als zu defätistisch eingestuft worden. Nun also ein »Siegesplan«, der die gleichen unsinnigen und aussichtslosen Forderungen gegenüber Russland enthält und daher keinerlei Chance auf Umsetzung hat. Die Bedingungen für einen für beide Seiten gerechten Frieden liegen auf dem russischen Tisch. Ohne die Realitäten, was unter anderem die Anerkennung der nunmehr russischen Territorien im Donbass anbelangt, wird es keinen Frieden geben. Dass der illegitime Präsident der Ukraine jetzt in aller Welt hausieren geht, zeigt, dass er noch immer nicht begriffen hat, dass die meisten Länder seinen »Plan« als nicht umsetzbar ansehen und auch bei seinen Hauptsponsoren beginnt allmählich die Einsicht in die Notwendigkeit.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (10. Oktober 2024 um 23:50 Uhr)
    Selenskyj hatte nie einen eigenen Plan; er war und bleibt ein Schauspieler, der seine vorgegebene Rolle auf der Weltbühne spielt. Entgegen dem Artikel sieht es nicht nur an der Front für Kiew schlecht aus, sondern für die gesamte ehemalige Ukraine. Das derzeitige Machthaber-Duo Jermak und Selenskyj versucht weiterhin, mit propagandistischen medialen Tricks der bitteren Realität zu entkommen – jedoch immer erfolgloser, da sie nach wie vor die Interessen ihrer Gegner nicht wahrhaben wollen. Ohne dies anzuerkennen, und ohne Russland, ist jedoch kein Frieden in Sicht. Im Gegensatz zum Westen hat Russland seine Kriegsziele relativ genau formuliert. Nach über zwei Jahren Krieg gibt es keinen Grund für den Kreml, seine Kriegsziele angesichts der aktuellen strategischen Lage zu ändern, geschweige denn aufzugeben. Der strategielose Westen scheint vom eigenen Ukraine-Projekt eingeholt zu werden. Zwar spielt Selenskyj immer noch die Hauptrolle, doch ohne wirkliche Bedeutung.

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