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Aus: Ausgabe vom 11.10.2024, Seite 2 / Ausland
Spannungen in Kolumbien

»Vergehen anderer Staatschefs wurden nie verfolgt«

In Kolumbien bringen sich die Gegner des linken Präsidenten in Stellung. Ein Gespräch mit Alejandro Alvarado
Interview: Sara Meyer
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Gegner des kolumbianischen Präsidenten bei einer Kundgebung in Medellin (20.7.2024)

Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro sprach am Dienstag vom ersten Schritt eines Staatsstreichs gegen ihn und wies schon vor Monaten auf einen »Putschplan« hin. Was geschieht in Kolumbien?

Das politische System erlebt einen Moment der Spannung, in dem die alten politischen Strukturen des Landes beginnen, in ziemliche Unruhe wegen des linken Präsidenten zu geraten. Kolumbien wurde bisher von diesen Strukturen geprägt, die in der Vergangenheit das Land regiert und sämtliche Prozesse gelenkt haben. Bei Petro schauen Institutionen wie der Nationale Wahlrat nun viel strenger hin als früher. Jetzt untersucht die Behörde, ob der Präsident bei seiner Wahlkampagne 2022 die Vorschriften eingehalten hat.

Petro hat erklärt, dass der Wahlrat nicht befugt sei, gegen ihn vorzugehen. Was ist die Rechtslage?

Die Aufgabe des Nationalen Wahlrats ist es, die Finanzierung von Wahlkampagnen zu untersuchen. Exotisch an der Konstruktion ist, dass die Anwälte des Wahlrats politischen Parteien angehören. Aktuell gehören sieben von neun Anwälten Parteien an, die als Petros politische Gegner anzusehen sind. Hier kontrollieren also diese Parteien die politische Konkurrenz. Das ist ein schlechtes institutionelles Design, aber das ist das, was wir haben. Was Petro meint, ist, dass er der erste Präsident ist, gegen den streng ermittelt wird, da die Behörde in der Vergangenheit bei allen anderen Staatschefs Vergehen nicht verfolgt und die Akten einfach archiviert hat. Material, das zeigte, dass Petros rechter Amtsvorgänger Iván Duque während seiner Kampagne Drogengelder erhalten hatte, wurde ad acta gelegt.

Warum nun dieses Vorgehen gegen Petro?

Es ist bekannt, dass Drogengelder immer eine Rolle bei der Wahlkampffinanzierung gespielt haben. Bei Petro, einem Gegenspieler dieser Strukturen, der sich gegen Korruption und für Demokratie und politische Ethik einsetzt, erwartet man nicht, dass er die Regeln verletzt. Man hat zunächst versucht, die Geschichte zu verkaufen, dass mit Petro das Land zerfällt und alles schrecklich wird, aber das ist nicht geschehen. Jetzt geht es schlichtweg darum, ob der Präsident während des Wahlkampfs illegale Gelder erhalten hat, ob es Finanzierungen gab, die nicht gemeldet wurden oder ob das erlaubte Budget für Wahlkampffinanzierung überschritten wurde. Wir rechnen aber nicht damit, dass das passiert ist, da Petro eine Kampagne geführt hat, die auf echten politischen Ideen und nicht auf Geld basierte.

Der US-Botschafter Francisco Palmieri hat kürzlich über einen möglichen Anschlag auf den Präsidenten gesprochen. Ist das eine reale Bedrohung?

Nein. Im ganzen Land werden Menschen getötet, und ich bin der Meinung, dass der Präsident der einzige ist, der nicht um sein Leben fürchten muss. Er mag viele Feinde haben, aber die Streitkräfte haben nicht – oder noch nicht – die Kapazität, gegen ihn vorzugehen. Petro hat es sogar geschafft, einen interessanten Demokratisierungsprozess der Sicherheitskräfte zu beginnen. Deshalb sehe ich keine Situation wie etwa in Bolivien.

Gab es bereits Versuche, Petros Regierung zu stürzen?

Es gab viele unnötige politische Erschütterungen, aber die Institutionen funktionieren. Bisher gibt es kein Netzwerk von Politikern, Wirtschaftsbossen oder äußeren Mächten, die versuchen, den Präsidenten zu stürzen.

Hat Petro das Volk hinter sich?

Petro war eine Sehnsucht, die das kolumbianische Volk seit über vierzig Jahren hatte. Viele Menschen haben viel geopfert, um diesem Land einen demokratischen Präsidenten zu schenken, eine Regierung, die es ihnen ermöglicht, frei zu wählen, ohne um ihr Leben zu fürchten. Aber jeder Korruptionsskandal, der im Umfeld des Präsidenten auftaucht, erschüttert das Vertrauen Tausender Unterstützer. Die Unterstützung schwindet. Eine Schwäche des Präsidenten ist, dass er sein politisches Umfeld nicht sorgfältig genug ausgewählt hat. Die traditionellen Medien arbeiten ohnehin gegen ihn. Jeder kleinste Fehler wird maximal ausgeschlachtet. Es gab große Erwartungen, aber wir müssen lernen, was das Mandat demokratisch hergibt und was in vier Jahren Regierungszeit möglich ist. Politik ist ein Verhandlungsgeschäft. Der Kongress ist gefährlich, dort gibt es richtige Kriminelle. Der Friedensprozess wird sabotiert, was nicht die Schuld des Präsidenten ist. Vielleicht gibt es ein Übermaß von Optimismus beim Präsidenten, das ihm politisch schadet.

Alejandro Alvarado ist Koordinator des Bereichs Staatsführung und Demokratie der Funda­ción Paz y Reconciliación

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