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Aus: Ausgabe vom 11.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
ASEAN-Gipfel

Auf der Suche nach Stabilität

Im laotischen Vientiane kommen die ASEAN-Staaten zu ihrem alljährlichen Gipfel zusammen. Eines der Themen ist der Konflikt zwischen den USA und China
Von Jörg Kronauer
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So eine Menschenkette kann stabil sein. Staats- und Regierungschef der ASEAN-Länder am Donnerstag in Vientiane

Die Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer und der Bürgerkrieg in Myanmar – das waren die beiden Schwerpunkte des ASEAN-Gipfels in der laotischen Hauptstadt Vientiane, der am heutigen Freitag zu Ende geht. Wie üblich gab es nach dem eigentlichen Gipfel, der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs der ASEAN-Mitgliedstaaten am Mittwoch, jeweils separate Treffen mit bedeutenden Kooperationspartnern des südostasiatischen Staatenbundes am Donnerstag – so etwa mit China, den USA, Japan, Südkorea, Indien. Zum East Asia Summit, der am Freitag den Gipfelreigen abschließt, wird zusätzlich Russlands Außenminister Sergej Lawrow erwartet. Die auswärtige Prominenz bestätigt es einmal mehr: Mit der Verlagerung der weltwirtschaftlichen bzw. weltpolitischen Gravitationszentren in die Asien-Pazifik-Region nimmt auch die Bedeutung der ASEAN-Gipfeltreffen zu.

Der Bürgerkrieg in seinem Mitgliedstaat Myanmar, der seit dem Militärputsch in der Hauptstadt Naypyidaw im Februar 2021 stets weiter eskaliert, stellt das ASEAN-Bündnis vor ein strukturelles Problem. Einerseits setzt es seit je auf eine Politik strikter Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten sämtlicher Mitglieder. Andererseits spitzt sich die Lage in Myanmar immer mehr zu. Die Militärs verlieren zusehends die Kontrolle über weite Teile des Landes. Die bisherigen Bemühungen der ASEAN, vorsichtig zu vermitteln, haben keinen Erfolg gebracht. Vor allem Thailand, das eine große Zahl an Flüchtlingen aus seinem Nachbarland beherbergt, dringt darauf, die Suche nach Lösungen zu intensivieren – auch weil mittlerweile Myanmars Grenznachbarn Indien und China begonnen haben, ihrerseits stärkeren Einfluss auf die Entwicklung in dem Land zu nehmen. Hatten die Militärs in Naypyidaw die ASEAN-Gipfel boykottiert, seit das Bündnis nach dem Putsch von 2001 die Führung des Landes von jeder Teilnahme ausgeschlossen hatte, so entsandten sie jetzt mit einem Spitzenbeamten aus dem Außenministerium erstmals wieder einen Vertreter zu dem Treffen.

Blieb weiterhin unklar, wie es in und mit Myanmar weitergehen soll, so suchte das ASEAN-Bündnis sein Gipfeltreffen zu nutzen, um die sich weiterhin verschärfenden Spannungen im Südchinesischen Meer zumindest ein wenig zu dämpfen. Zu dem eskalierenden Konflikt zwischen China und den Philippinen kam vergangene Woche eine Zuspitzung des Streits zwischen China und Vietnam hinzu. Es ging um einen Vorfall im Meeresgebiet rings um die Paracel-Inseln, die rund 350 Kilometer südöstlich der südchinesischen Insel Hainan und ebenso weit östlich der vietnamesischen Hafenstadt Da Nang liegen und von beiden Staaten beansprucht werden. Dabei hielten sich offenbar vietnamesische Fischerboote nahe einer chinesisch kontrollierten Insel auf – und wurden von chinesischen Sicherheitskräften unsanft angegangen, wogegen Hanoi scharf protestierte. In Vientiane rief Indonesiens Vizepräsident Maruf Amin dazu auf, bis 2026 die Arbeit an dem seit Jahren geplanten Verhaltenskodex abzuschließen, der einer gewaltlosen Beilegung der Konflikte im Südchinesischen Meer den Weg bahnen soll.

Eine wichtige Rolle spielte auf dem ASEAN-Gipfel – wie schon seit Jahren üblich – auch die Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China. Der ökonomische Einfluss der Volksrepublik wächst ungebrochen, und mittlerweile beginnt sich die Stimmung der Eliten der ASEAN-Staaten zu verändern: Gaben im vergangenen Jahr in einer Umfrage des Yusof Ishak Institute aus Singapur noch 61,1 aller befragten Führungskräfte aus den ASEAN-Ländern an, sich im Fall eines außer Kontrolle geratenen Konflikts auf die Seite der USA zu schlagen (China: 38,9 Prozent), so lag in diesem Jahr zum ersten Male die Volksrepublik mit 50,5 Prozent vorn (USA: 49,5 Prozent). Dazu beigetragen hat nicht zuletzt die US-Unterstützung für Israel in den aktuellen Kriegen in Nahost, die vor allem in den islamisch geprägten Ländern Malaysia und Indonesien für Unmut sorgt.

Dass Washington nur Außenminister Antony Blinken zum ASEAN-Gipfel schickte und Präsident Joseph Biden dem wichtigen Treffen nun schon zum zweiten Mal fernblieb, trug dazu bei, in der Region den Eindruck zu festigen, dass Washington kein echtes Interesse an der Entwicklung der ASEAN-Staaten selbst hat, sondern lediglich auf ihre Rolle im Machtkampf gegen China schielt. Dazu passte, dass Blinken die Konflikte im Südchinesischen Meer zu nutzen versuchte, um Beijing scharf zu attackieren, und dass Washingtons engste Verbündete in der Region, Japan und die Philippinen, ins selbe Horn stießen. Während der Präsident der Philippinen, Ferdinand Marcos Jr., Beijing wegen der Inselstreitigkeiten offen attackierte, kündigte Japans neuer Ministerpräsident Ishiba Shigeru an, Tokio wolle den ASEAN-Staaten Patrouillenboote liefern und Ausbildung in Maßnahmen zur Durchsetzung des Rechts auf dem Meer anbieten. Beides braucht man, wenn man aktiv gegen China vorgehen will.

Dem ASEAN-Bündnis sei es bisher gelungen, »relativen Frieden und Fortschritt« in Südostasien zu sichern, urteilte anlässlich des aktuellen Gipfels der frühere Generalsekretär Ong Keng Yong, ein erfahrener Diplomat aus Singapur: »Die großen Mächte können in der Region nicht tun, was sie wollen.« Solle das so bleiben, dann müsse der Staatenbund allerdings gewährleisten, dass »kein äußerer Druck die Region spaltet«, hielt Souliya Mounnarath von der National University of Laos am Rande des Gipfeltreffens in Vientiane fest. Ob dies gelingt, könnte sich als zentrale Frage für die Zukunft Südostasiens erweisen.

Ökonomische Koordinierung

Die ASEAN-Staaten und China haben auf dem Gipfel in Vientiane einen weiteren Ausbau ihrer ökonomischen Zusammenarbeit diskutiert. Das Freihandelsabkommen, das sie im Jahr 2010 geschlossen haben, hat dazu beigetragen, den Handel untereinander von einem Volumen von damals 235,5 Milliarden US-Dollar auf 696,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 zu steigern. Nun soll es ausgeweitet werden. Beide Seiten haben dabei vor allem die Digitalwirtschaft, grüne Technologien sowie präzise abgestimmte Lieferketten im Blick. Gelingt der Schritt, dann stehe Südostasien wohl »eine gewaltige Transformation« bevor, urteilte im Gespräch mit Voice of America Lu Xi von der Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of Singapore: Die Region könne dann darauf hoffen, ihre Industrie in die Lieferketten der chinesischen Elektroautokonzerne einzubinden. Das biete – auch mit Blick auf den riesigen, über 670 Millionen Menschen umfassenden ASEAN-Absatzmarkt – beträchtliche Wachstumschancen.

Wie es gehen kann, zeigt das Beispiel Indonesien. Die Regierung in Jakarta hat durchgesetzt, dass indonesisches Nickel nicht mehr unverarbeitet exportiert, sondern im Land selbst aufbereitet wird. Das erledigen inzwischen vor allem chinesische Unternehmen, die nun auch begonnen haben, vor Ort die Anoden für Elektroautobatterien herzustellen. Indonesien ist bemüht, sich so umfassend wie möglich als Standort für die Elektroautoproduktion zu positionieren, um seine Industrialisierung voranzutreiben; und auch daran sollen sich Konzerne aus der Volksrepublik beteiligen. Im August traf Außenministerin Retno Marsudi in Beijing zu Gesprächen mit ihrem Amtskollegen Wang Yi zusammen. Anschließend teilte sie mit, man werde gemeinsam chinesische Investitionen in die indonesische Elektroautobranche forcieren. BYD investiert dort bereits 1,3 Milliarden US-Dollar in eine Fabrik; weitere könnten folgen. (jk)

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