Staatszweck
Von Arnold SchölzelDie Bundestagsdebatte über den 7. Oktober 2023, also über die Hamas, plätscherte am Donnerstag im Rahmen des herrschenden Kriegskonsenses dahin: Israel ist Opfer, Palästinenser sind nicht der Rede wert. Schon gar nicht, wenn sie zu Zehntausenden umgebracht werden. Fehlte noch eine Klage über mangelndes Mitgefühl. Eine Allianz von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, AfD und Die Linke übte sich in der Staatsräson, zum Beispiel Vorwürfe des Internationalen Gerichtshofes (IGH) gegen Israel zu ignorieren, die vom Verdacht auf Völkermord und auf Apartheid sprechen. Wegen Anerkennung des Rechts auf Selbstverteidigung. Wie stets mit der Einschränkung: Gilt nicht für Palästinenser. Der IGH kann sein bahnbrechendes Gutachten vom 19. Juli, wonach die Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel rechtswidrig ist, getrost zehnmal wiederholen – Berlin antwortet mit »Na und?« und enthält sich in der UN-Vollversammlung, die das IGH-Gutachten in Auftrag gegeben hatte. 124 Staaten forderten dort die Durchsetzung der IGH-Entscheidung. Die deutsche Regierung wird alles dafür tun, damit das nicht geschieht. Denn so wie für die Netanjahu-Regierung der Krieg und vor aller Welt sichtbare Kriegsverbrechen Lebenszweck sind, so ist für diesen deutschen Staat Frieden kein Staatszweck.
Im Dunst von Heuchelei, doppelter Moral und Missachtung des Rechts, der da im Reichstagsgebäude an diesem Donnerstag vormittag aufquoll, sorgten wenigstens Friedrich Merz und AfD-Pöbler für etwas Klarheit. Zusammengefasst: Israel erhält aus Deutschland zu wenig Waffen, um ausreichend Muslime abzuschlachten. Der Blackrock-Statthalter stellte in AfD-Manier eine Tirade über »ungehinderte massenhafte Zuwanderung von nicht schutzbedürftigen Männern aus dem arabischen Raum« neben seine Anklage, die Bundesregierung verweigere Waffenlieferungen an Israel. Die »Brandmauer« zur AfD: Deren Sprecher stellten trotz Begeisterung für jeden Krieg Israels diesen Zusammenhang nicht her. Als sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich über Merz wegen Verletzung der Pietät beschwerte, setzte der noch eins drauf, woraufhin wiederum der Kanzler Mützenich das Mikrofon entriss und »als Abgeordneter« verkündete, »dass es demnächst weitere Lieferungen geben wird«. Damit war die deutsche Staatsräson – kein Krieg ohne uns – geklärt und die Hamas wieder einziges Thema. Merz gebührt Dank, dass er bei Scholz einen Anflug von Wahrheit auslöste.
Die einzige Rednerin, die jene »mehr als 40.000 Menschen«, die im Gazastreifen getötet wurden, erwähnte, war Sevim Dagdelen (BSW). Ihr Satz, in Deutschland könne »es nur eine Staatsräson des ungeteilten Schutzes der Menschenwürde geben«, verhallte. Schweigen zu palästinensischen Toten und den Opfern der westlichen Kriege seit 1991 wurde hier systematisch eingeübt. Es waren Millionen.
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