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Aus: Ausgabe vom 11.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Blick ins Leere

Keine Glosse zum Literaturnobelpreis
Von Stefan Gärtner
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»Mit weitaufgerissenen Augen stand sie da, doch ihr Blick ging ins Leere.« – Han Kang hat kein Glück mit deutschen Übersetzern

Man muss auch lernen können, nein zu sagen, und also sage ich nein, als mein Führungsredakteur mich bittet, eine Glosse zum Literaturnobelpreis für die Südkoreanerin Han Kang zu schreiben. Ich habe auch gar keine Zeit, weil ich endlich einmal das Manuskript zu meinem eigenen Roman durchsehen muss, für den es völlig zu recht keinen Nobelpreis geben wird, ja vielleicht nicht mal einen Verlag.

Nein, diese Glosse kann ich nicht schreiben, denn der »Witz« der Glosse wäre, dass ich wieder mal keine Ahnung habe, wer das nun schon wieder ist, der da den Nobelpreis für Literatur gekriegt hat. »Der neue Roman der südkoreanischen Literatursensation«, steht bei Amazon neben dem im Februar auf deutsch erschienenen Roman »Griechischstunden«, in dem gleich eingangs der Name ­Borges fällt, und nichts gegen Borges, aber das sind immer so die Signale, wo ich denke, puh, Literaturliteratur. Ein symbolisches Schwert spielt auch eine Rolle. Ich blättere natürlich trotzdem in der Leseprobe: Eine Stirn wird gerunzelt, jemand holt tief Luft, Augen starren gebannt, und es ist ja im Leben immer alles Geschmackssache, und könnte sein, meiner ist es nicht, zumal da ich nie erfahren werde, wie gut hier jemand aus dem Koreanischen übersetzt hat und ob das, was im Deutschen eher gebraucht, allenfalls simplifizierend nach Zen klingt, im Original poetisiertes Nichts ist statt vielleicht einfach Nichts. »Ich habe keine Fotos gemacht. Die Landschaft ist nur in meine Netzhaut eingebrannt.« Das wird die Sicht auf Dauer behindern, aber vermutlich ist das ja auch gemeint.

»Mit weitaufgerissenen Augen stand sie da, doch ihr Blick ging ins Leere.« Ja. »Zugegeben, ihre Mutter war vor sechs Jahren gestorben, und im Zuge ihrer Scheidung vor einigen Jahren hatte sie schließlich das Sorgerecht für ihren neunjährigen Sohn verloren.« Zugegeben, bei Flaubert sind die Bezüge auch nicht immer astrein, das ist, wie der Duden sagen würde, eine Konstruktion nach dem Sinn und im Zusammenhang auch kein Problem, aber »im Zuge ihrer Scheidung«? Steht das auf koreanisch wirklich da? Und wenn ja, warum? Und hätte ein Lektorat nicht die Ungeschicklichkeit der doppelten, einmal bestimmten und einmal unbestimmten Jahre beheben können?

Nein, keine Glosse von mir zum Literaturnobelpreis für die Südkoreanerin Han Kang, den ich natürlich begrüßen könnte, weil mein Führungsredakteur unrecht hatte und Salman Rushdie leer ausgegangen ist. Aber zu meinen zahlreichen Charakterfehlern gehört Missgunst eben nicht, und mir ist das alles auch egal. Also zurück zu meinem eigenen Roman, in dem es so überhaupt nicht um Borges geht. Und das ist, ich weiß es, natürlich der Fehler.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (10. Oktober 2024 um 21:17 Uhr)
    Danke für diese erhellende Nichtglosse. Besser hätte ich auch nicht ausdrücken können, was mir in dem Moment durch den Kopf fuhr, als ich von der trefflichen Wahl des Nobelpreiskommitees Kenntnis bekam. Ich habe übrigens auch noch keinen Roman geschrieben. Vorsichtshalber melde ich ihn trotzdem schon mal an. Man weiß ja nie, wozu das gut ist. Auch wenn man nicht Herta Müller oder Salman Rushdie heißt.

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