Raketen besser erklären
Von Philip TassevDie »Debatte« im Bundestag zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in der BRD am Donnerstag abend als eine solche zu bezeichnen, wäre eigentlich ein Euphemismus. Ein oder zwei Redner pro Partei verkündeten, ohne groß aufeinander einzugehen, ihren jeweiligen Standpunkt. Dazu gab es einige unqualifizierte Zwischenrufe und ein bisschen Gelächter. Nach einer halben Stunde wurden die Anträge in die Ausschüsse verwiesen – und dann ging es weiter mit der Tagesordnung. Schließlich war es schon spät und die Abgeordneten wollten nach Hause, was manch einer unmissverständlich klarmachte.
Die Anträge, um die es ging, kamen von der Gruppe Die Linke und vom BSW. Der Antrag der Linken konstatiert, dass eine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in der Bundesrepublik unabsehbare Folgen für die Rüstungskontrolle in Europa hätte. Die Behauptung einer sogenannten Fähigkeitslücke sei als Begründung für eine Stationierung nicht nachvollziehbar. Die Pläne stünden auch in keinem direkten Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Darauf wies auch der erste Redner zum Thema, Dietmar Bartsch, hin: In einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung habe der frühere Oberst Wolfgang Richter dargelegt, dass die Pläne zur Stationierung auf dem US-Konzept »Multi-Domain Task Force« (MDTF) aus dem Jahre 2017 beruhten.
Zudem beklagte Bartsch, dass über die Hyperschallraketen vom Typ »Dark Eagle«, die 2026 oder 2027 auf bundesdeutschem Gebiet aufgestellt werden sollen, bisher kaum etwas bekannt sei. Die mutmaßliche Reichweite von 2.800 Kilometern sei ausreichend, um den gesamten europäischen Teil Russlands zu beschießen, führte Bartsch weiter aus. Die in der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad stationierten Marschflugkörper vom Typ »Iskander« könnten dagegen mit ihrer Reichweite von 500 Kilometern gerade mal Bartschs »wunderbare Geburtsstadt Stralsund« treffen, bis zu seinem Wahlkreis Rostock würden sie schon nicht mehr kommen. Es sei eine »Ungeheuerlichkeit«, so Bartsch, dass die Entscheidung zur Stationierung ohne öffentliche Debatte und ohne Information des Bundestages getroffen wurde: »Eine so weitreichende sicherheitspolitische Entscheidung muss seriös diskutiert werden.«
Mit dieser »Kritik« rannte er freilich bei den Fraktionen der großen Kriegskoalition offene Türen ein. Außer SPD-Mann Falko Droßmann, der seinen Kanzler vehement verteidigte, waren sich von den Grünen über FDP, Union bis zur AfD alle Redner weitgehend einig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz den Beschluss zur Stationierung viel gründlicher hätte vorbereiten bzw. »erklären« müssen. In den Worten der Grünen-Abgeordneten Merle Spellerberg: »Tun wir das nicht, überlassen wir das Feld denjenigen, denen unsere demokratische Kultur ein Dorn im Auge ist.« Auch Florian Hahn (CSU) bemängelte, die »Politik der Nichtkommunikation« von seiten des Kanzlers öffne »den Raum für Mythen« und führe zur »Verunsicherung in der Gesellschaft«, was dann von der »Kollegin Wagenknecht und anderen« ausgenutzt werde.
Für den AfD-Redner Jan Ralf Nolte sind US-Marschflugkörper in Deutschland schlicht nicht notwendig, um Russland abzuschrecken: »Die abschreckende Wirkung der NATO basiert überhaupt nicht auf ein paar Tomahawk-Raketen, sondern auf den nuklearen Fähigkeiten der NATO.« Die Entwicklung von eigenen weitreichenden Waffensystemen in Europa bezeichnete der Abgeordnete der sich so gerne als Friedenskraft gerierenden Partei als »gut und richtig«.
Für das BSW warben die Abgeordneten Zaklin Nastić und Sevim Dagdelen für die beiden Anträge ihrer Gruppe, in denen die Bundesregierung unter anderem aufgefordert wird, die Zustimmung zum bilateralen Abkommen mit der US-Regierung zur Stationierung der Mittelstreckenwaffen zurückzuziehen, Abrüstungsverhandlungen zwischen den NATO-Staaten und Russland zu initiieren sowie ein Gesetz vorzulegen, um binnen sechs Monaten, spätestens aber zur Bundestagswahl 2025, eine Volksbefragung zur Frage der Raketenstationierung durchzuführen. Dagdelen verwies auf Umfragen, wonach eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Stationierung der US-Raketen sei.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 12.07.2024
Zurück im Kalten Krieg
- 27.06.2024
Gebetsmühle Bundestag
- 26.06.2024
Kriegstüchtig werden
Regio:
Mehr aus: Inland
-
»Dieses Geheimnis kann ich nicht entschlüsseln«
vom 12.10.2024 -
Öltanker in Flammen
vom 12.10.2024 -
Vom Kiffen nicht begeistert
vom 12.10.2024 -
Lithium fürs Kapital
vom 12.10.2024 -
Vorerst keine Kitastreiks in Berlin
vom 12.10.2024