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Aus: Ausgabe vom 14.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Krieg und Frieden

Koreanischer Zwist

Seoul droht Pjöngjang mit Vernichtung und testet am Jahrestag der Arbeiterpartei Raketen. Norden bricht Beziehungen ab
Von Martin Weiser, Seoul
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Am »Tag der Armee« war Südkoreas Präsident um martialische Worte nicht verlegen (Seongnam, 1.10.2024)

Seit zwei Wochen liefern sich die beiden koreanischen Staaten ein scharfes Wortgefecht. Den Anfang machte Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol, als er bei einer Militärparade zum Tag der Armee am 1. Oktober Nordkoreas Führung mit der Vernichtung drohte, sollte sie auch nur versuchen, Atomwaffen einzusetzen. Es gab dem ganzen noch einen bitteren Beigeschmack, dass Südkorea an diesem Tag den Einmarsch südkoreanischer Truppen in den Norden am 1. Oktober 1950 feierte. Noch unter der ersten südkoreanischen Diktatur von Rhee Syngman hatte man sich für diesen Gedenktag entschieden, seit 1990 war er aber kein öffentlicher Feiertag mehr. Das wurde flugs diesen September rückgängig gemacht. Als I-Tüpfelchen der Drohung kam hinzu, dass Seoul dann auch noch vergangenen Dienstag und noch einmal am Donnerstag bunkerbrechende »Taurus«-Raketen testete. Diese werden von Kampfjets abgefeuert und können innerhalb von 15 Minuten jeden Punkt in der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) erreichen, einschließlich der Kommandobunker. Dass man es nicht bei der Drohung am 8. Oktober beließ und auch noch am Gründungstag der Arbeiterpartei nachlegte, unterstrich, wie sehr man persönlich werden wollte.

Antwort mit Häme

DVRK-Staatsoberhaupt Kim Jong Un kommentierte die Rede direkt am 2. Oktober bei der Inspektion einer Spezialeinheit. Yoon könne nicht ganz bei Verstand sein, wenn er einem Nuklearstaat mit Vernichtung drohe. Schließlich sei man bei einem Angriff bereit, mit aller Kraft zurückzuschlagen und auch die Atomwaffen gegen den Süden einzusetzen. Das würde dann auch Südkoreas Hauptstadt, wenn nicht das ganze Land in Schutt und Asche legen. Kim unterstrich aber noch einmal, dass man nie zuerst angreifen werde und Yoons Rede klar zeige, wer die Spannungen in der Region anheize. Zwei Tage später legte seine Schwester Kim Yo Jong, Vizedirektorin der Informationsabteilung des Zentralkomitees der Arbeiterpartei und Sprecherin für die US- und Südkorea-Politik, noch einmal mit einiger Häme nach. An der Militärparade hatte auch der Atombomber B-1B der USA teilgenommen, was doch den Eindruck erwecke, Südkorea sei immer noch eine Kolonie. Selbst wenn Seoul an die neue übergroße »Monsterrakete« »Hyonmu-5« einen Acht-Tonnen-Sprengkopf montiere, verwandele die sich nicht in eine Atomrakete. Medienberichte, dass das Transportfahrzeug auch seitlich manövrierfähig sei, verspottete sie, indem sie von einer Parkhilfe redete.

Kim Jong Un bezog sich auf Yoons Rede noch einmal, als er Anfang vergangener Woche zum 60. Jubiläum der Universität für Nationale Verteidigung in Pjöngjang, die man vor einigen Jahren nach ihm benannt hatte, eine Ansprache hielt. Südkorea habe klar gezeigt, wie widersprüchlich es sei, das Atomprogramm der DVRK zu verdammen, aber selbst seit Jahrzehnten erstmals wieder nukleare Bomber und U-Boote aus den USA ins Land gelassen zu haben. Kim kritisierte auch einen Appell der Vereinten Nationen an den Norden, sich rhetorisch zu mäßigen. Schließlich werde sein Land von der größten Nuklearmacht der Welt bedroht, und ihre Marionetten im Süden würden mit deren Atomwaffen Spielchen treiben. Deswegen könne er nicht anders, als auszuformulieren, wie gefährlich die Lage und ein möglicher Kriegsausbruch sei. Kim betonte noch einmal, dass man am liebsten gar nichts mehr mit dem Süden zu tun haben wolle. In der Vergangenheit habe man zwar von der Befreiung des Südens oder einer Wiedervereinigung mit militärischen Mitteln geredet, aber das sei nun endgültig vorbei.

Streit um Grenze

All das erschien als Auftakt für die schon im September angekündigte Parlamentssitzung vergangenen Montag und Dienstag, bei der auch das Ziel der Wiedervereinigung aus der Verfassung gestrichen werden sollte. Laut den Medien des Landes wurde in der Tat die Verfassung geändert, von den bereits im Januar von Kim Jong Un höchstpersönlich vorgeschlagenen Änderungen war aber bisher nichts zu lesen. Er hatte auch gefordert, die Grenze zu Südkorea explizit in die Verfassung zu schreiben, denn bisher wurde die nirgendwo erwähnt. Südkorea besteht darauf, dass die von den USA gezogene »Northern Limit Line« an der Westküste der Halbinsel als offizielle Seegrenze gilt. Nordkorea hat dies aber nie anerkannt und eine auf internationalen Regeln beruhende Linie vorgeschlagen, die Südkorea auch Zugang zu in den Gewässern der DVRK liegenden Inseln ermöglichen würde. 2004 hatten Pjöngjang und Seoul das Seegebiet zu einer »Friedenszone« deklariert. Im Süden befürchtete man nun militärische Manöver und Artilleriebeschuss auf von Seoul beanspruchtes Gebiet, zumal Kim Jong Un Tage zuvor bei einer Übung in der Gegend zugegen war und Kim Yo Jong kurz danach dem Test einer Rakete mit nur 67 Kilometer Reichweite beiwohnte. Keine der Befürchtungen hat sich bisher bewahrheitet.

Statt dessen folgte am Mittwoch die nicht überraschende Stellungnahme der nordkoreanischen Armee, man werde Bauarbeiten im Grenzbereich durchführen, um alle Verkehrswege in den Süden zu kappen. Man wollte mit der Erklärung sichergehen, dass die lautstarken Dynamitexplosionen nicht als Artillerieangriff missverstanden werden. In der Vergangenheit hatte Pjöngjang auch bei Raketentestflügen in internationale Gewässer entsprechende Stellungnahmen abgegeben, um eine Zunahme der Spannungen zu vermeiden. Beim Jubiläum der Arbeiterpartei am nächsten Tag schwieg Kim Jong Un sich dann entsprechend aus zum Süden. Denn, wie er betonte, für ihn sei mit ihm jetzt wirklich Schluss. Ob Seoul sich daran hält, ist fraglich.

Hintergrund: Unerlaubte Flugobjekte

Am Sonnabend offenbarte Nordkorea, dass südkoreanische Drohnen diesen Monat dreimal über Pjöngjang Flugblätter abworfen hätten, am Mittwoch sogar in der Nähe der Hauptzentrale der Arbeiterpartei. Am folgenden Tag sei ein weiterer Versuch erfolgt, um die Jubiläumsfeiern der Partei zu stören. Die südkoreanische Regierung will es natürlich nicht gewesen sein. Sollte das stimmen, würden nur jene Aktivisten übrigbleiben, die sonst per Luftballon oder dank Gezeitenströmung sogar per Plastikflasche Flugblätter und USB-Sticks mit Filmchen und antikommunistischer Propaganda ins Land bringen wollen. Anfang 2023 hatte mit Park Sang Hak bereits einer der prominentesten Aktivisten gedroht, er werde auf Drohnen umsatteln.

Pjöngjang veröffentlichte auch ein Foto der Flugblätter, die anscheinend zwei Nachrichtenmeldungen von März und April vergangenen Jahres aufgreifen. Im März hatte zuerst die erzkonservative Zeitung Chosun Ilbo berichtet, die Tochter Kim Jong Uns habe bei einem Raketentest eine ausländische Luxusjacke getragen, die 2.000 US-Dollar wert sei. Hauptbeweis: ein Nahtmuster, das jeder Schneider nachahmen könnte. Im Monat darauf glaubte man, Kim Jong Uns Armbanduhr als Luxusmodell für 10.000 Euro enttarnt zu haben. Bei diesen Spekulationen wollte das Flugblatt aber nicht stehenbleiben und lästerte auch noch über die teuren Preise für Lebensmittel im Norden. Schließlich könne man mit dem Geld für jene Luxusartikel anderthalb Tonnen Reis im Norden kaufen, aber angeblich mehr als 40 Tonnen im Süden.

Doch die Aktivisten führen für den Norden Wucherpreise auf nordkoreanischen Märkten an und blenden staatliche Verteilstationen aus, während für Südkorea nur der billigste Reis zugrunde gelegt wird. Wenn man dann noch die Wechselkursschwankungen der südkoreanischen Währung und staatliche Subventionen an die Reisbauern einrechnet, fällt der Vergleich nicht mehr beeindruckend aus. (mw)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy (14. Oktober 2024 um 10:51 Uhr)
    Seit geraumer Zeit, genauer gesagt seit den 1950er Jahren, herrscht der sogenannte „Koreanische Zwist“ zwischen Nord- und Südkorea. Dieser Konflikt geht weit über das hinaus, was in den Medien häufig dargestellt wird. Neben den offensichtlichen politischen Spannungen und der militärischen Konfrontation gibt es ein viel tiefgreifenderes und langfristig entscheidenderes Thema: die demografische Entwicklung der beiden Staaten.

    Die Demografie, die Zukunftsfähigkeit eines Landes basierend auf der Geburtenrate, wird oft in den Hintergrund gestellt, spielt jedoch eine zentrale Rolle in der langfristigen Stabilität eines Landes. In Südkorea zeichnet sich ein alarmierender Trend ab. Das Land weist derzeit die niedrigste Geburtenrate weltweit auf. Im Jahr 2023 betrug die Geburtenrate nur 0,7 Kinder pro Frau, was weit unter der notwendigen Rate liegt, um die Bevölkerung stabil zu halten. Dieser demografische Niedergang ist ein Symptom für die Selbstzerstörungskräfte des Kapitalismus, der in Südkorea tiefe Spuren hinterlassen hat.

    Die Ursachen für diese demografische Krise sind vielfältig: Die hohen Lebenshaltungskosten, insbesondere in Städten wie Seoul, die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse, die hohen Bildungskosten und der immense soziale Druck, eine Karriere zu verfolgen, führen dazu, dass immer weniger Paare Kinder bekommen. Die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft sind bereits sichtbar, und die Prognosen sind düster: Eine alternde Bevölkerung, die den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme enorm belasten wird, während die Zahl der Kinder und Jugendlichen dramatisch abnimmt.

    Im Gegensatz dazu ist Nordkorea zwar wirtschaftlich weit weniger entwickelt und gilt als „arm“, doch im Hinblick auf die Demografie hat das Land einen entscheidenden Vorteil. Die Geburtenrate liegt dort mit etwa über zwei Kindern pro Frau deutlich höher als in Südkorea. Was aber im Vergleich zum demografischen Kollaps des Südens ist Nordkorea in dieser Hinsicht wesentlich stabiler.

    Dieser Unterschied könnte langfristig weitreichende Auswirkungen haben. Während Südkorea aufgrund seiner demografischen Krise in eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Abwärtsspirale gerät, könnte Nordkorea, trotz seiner wirtschaftlichen Herausforderungen, durch eine stabilere Bevölkerung und ein potenzielles Bevölkerungswachstum langfristig von innen heraus gestärkt werden. Die Frage nach der Zukunft der koreanischen Halbinsel wird daher nicht erstrangig durch die aktuellen militärischen und politischen Spannungen beantwortet werden, sondern auch durch die Fähigkeit beider Staaten, eine gesunde und stabile Gesellschaft zu erhalten – und in dieser Hinsicht steht Südkorea vor einer existenziellen Herausforderung.

    Es ist ein klarer Beweis dafür, dass ein übermäßig kapitalistisches Wirtschaftssystem langfristig destruktive Folgen für die Gesellschaft haben kann, indem es die Geburtenrate senkt und somit die Zukunft eines Landes gefährdet. Während Südkorea heute als wirtschaftliche Großmacht gilt, könnte seine demografische Krise das Land auf lange Sicht implodierend schwächen.

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