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Aus: Ausgabe vom 14.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Parlamentsdebatte in Seoul

Festival der Spekulationen

Südkorea: Regierung setzt bei Anhörung unbewiesene Behauptungen in die Welt und lässt Kritik der Opposition abperlen
Von Martin Weiser, Seoul
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Lieber Vorsicht walten lassen: Einsatzkräfte begutachten die Ladungen nordkoreanischer Luftballons (Seoul, 24.7.2024)

Seit Montag vergangener Woche läuft in Südkorea die jährliche Überprüfung der Regierungsarbeit durch das Parlament. Eigentlich haben die Abgeordneten dadurch die Möglichkeit, kritische Fragen direkt an Regierungsmitarbeiter zu richten und die Offenlegung von Informationen und Dokumenten zu fordern. Das entpuppte sich allerdings als Farce, da die Opposition kaum an Detailfragen interessiert war und auch noch der Regierung und den konservativen Abgeordneten freie Hand ließ, unkommentiert wilde Spekulationen zu verbreiten.

Der Verteidigungsminister durfte unbestätigte Berichte, dass nord­koreanische Soldaten in Donezk getötet wurden, als »höchstwahrscheinlich korrekt« bezeichnen und nachlegen, dass Pjöngjang weitere Bodentruppen in den Krieg schicke. Die Steilvorlage hierzu lieferte ihm der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Nachfragen von der Opposition, ob es dafür echte Beweise gebe, blieben aus. Im Gesundheitsausschuss erklärte die Chefin der obersten Seuchenbehörde, man sei sich der Gefahr eines Terrorangriffs aus dem Norden mit Biowaffen bewusst. Diese Worte wurden ihr praktisch in den Mund gelegt von einer konservativen Abgeordneten, selbst Ärztin, die minutenlang von einem möglichen Anthraxangriff schwadronierte. Die seit einigen Monaten aus dem Norden in den Süden geschickten Luftballons könnten auch zum Startpunkt einer neuen Pandemie werden, fügte sie noch hinzu.

Die Befragung im Ausschuss für Außenpolitik und Wiedervereinigung sah im Gegensatz schon fast gesittet aus. Kritik der Opposition an den extremen Ausgaben des Wiedervereinigungsministeriums für Propaganda und am Ermittlungsverfahren gegen den Sohn des Politikers Thae Yong Ho für das Erschwindeln von einer Million Euro ließ man abperlen. Thae leitet seit diesem Jahr das staatliche Beratungsgremium für die friedliche Wiedervereinigung. 2016 war er als nordkoreanischer Diplomat mit seiner Familie in den Süden übergelaufen, und nach vier Jahren im Parlament ließ er sich in einem aussichtslosen Wahlkreis aufstellen. Präsident Yoon Suk Yeol rettete ihn mit dem jetzigen Job vor der Arbeitslosigkeit. Thae bestand aber darauf, das Urteil abzuwarten, bevor er sich bei den Betrugsopfern entschuldigen müsse.

Der Wiedervereinigungsminister ging erst gar nicht auf Kritik ein. Dabei hatte allein schon ein Bericht von der südkoreanischen Investigativplattform Newstapa, der Stunden vor der Befragung veröffentlicht worden war, genug Stoff für harte Fragen geliefert. Durch die Regierung frisierte Zeugenaussagen zu Nordkoreas angeblichen Lagern für politische Häftlinge und zu Hinrichtungen für das bloße Anschauen von Videos wären nur zwei Themen gewesen. Statt dessen kramte der Parlamentarier Yoon Hu Dok nur die Nachrichtenmeldung vom Juli hervor, dass 30 Minderjährige erschossen worden seien, und wollte einmal persönlich vom Minister hören, ob das denn überhaupt stimme. Eine Antwort darauf gab es natürlich nicht, und Yoon gab nur von sich, er selbst glaube es nicht.

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