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Aus: Ausgabe vom 14.10.2024, Seite 5 / Inland
Deutscher Gewerkschaftsbund

75 Jahre Sozialpartnerschaft

Scholz gratuliert DGB zum 75. Jubiläum. Steinmeier verlangt vom Gewerkschaftsbund »realistische Wege«. Fahimi fordert Unterstützung für Industrie
Von Susanne Knütter
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Großdemonstration gegen die »Agenda 2010«, die von den Gewerkschaftsführungen mitgetragen wurde (Berlin, 2.10.2004)

Den größten Interpretationsspielraum bot vermutlich wieder einmal die Rede des Bundespräsidenten. Beim Festakt zum 75. Jubiläum des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) am Sonntag in Berlin erklärte Walter Steinmeier (SPD): »Wir brauchen einen DGB, der realistische Wege aufzeigt«, wie der Umbau des Landes zu einer klimaneutralen und digitalen Wirtschaft sozial gerecht gestaltet werden könne. Er appellierte an die anwesenden Gewerkschafter, »in dieser Zeit des Wandels« für »soziale Gerechtigkeit zu streiten« und »zugleich eine Stimme der Zuversicht« zu sein. Veränderung bedeute nicht zwangsläufig Bedrohung und Verlust.

Angesichts zunehmender Forderungen nach umfassenden Arbeitsmarktreformen sollten derart versöhnliche Töne aufmerken lassen. Zuletzt beklagte am Donnerstag der Präsident der Unternehmerverbände (BDA), Steffen Kampeter, zu hohe Arbeitskosten und forderte von der Bundesregierung grundlegende Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Einen Tag später präsentierte das Handelsblatt einen »Zukunftsplan für Deutschland«, den sich die drei hierzulande größten Managementberatungen ausgedacht hatten. Angelehnt ist diese »Agenda 2035« an das »sozialpolitische Reformprojekt« der Regierung von Gerhard Schröder (SPD). Die »Agenda 2010« war im Jahr 2003 die Reaktion auf zwei Rezessionsjahre in Folge. Diese Rezessionsdauer ist auch jetzt wieder erreicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schickte ein »Happy Birthday« per Videobotschaft und betonte die Erfolge der kämpfenden Gewerkschafter. Bezahlten Urlaub, Arbeits- und Kündigungsschutz, Mitbestimmung in Betrieben sowie »ordentliche Tarifabschlüsse und steigende Löhne« würde es nicht geben »ohne das Engagement unzähliger Frauen und Männer« im DGB. Und Gewerkschaften würden auch in Zukunft gebraucht, »gerade in Zeiten wie diesen«. »Die Digitalisierung, künstliche Intelligenz, die Modernisierung unserer Industrie – das alles verändert, wie wir in Zukunft arbeiten. Unsere Gewerkschaften machen sich dafür stark, dass alle mitkommen bei solchen Veränderungen.«

In den Äußerungen der DGB-Vorsitzenden ging es zum großen Teil um den Wirtschaftsstandort Deutschland. »Wir laufen derzeit Gefahr, dass unsere Industrie an Substanz verliert«, sagte Yasmin Fahimi (SPD). Sie forderte einen neuen Anlauf in der Sozialpartnerschaft und mehr gemeinsames Agieren zum Erhalt der deutschen Industrie in ihrer Verbundstruktur. »Ein verlässlicher und planungssicherer Korridor für Energiepreise ist dafür ebenso wichtig wie ein endlich weiter beschleunigter Ausbau unserer Infrastruktur.« Die DGB-Chefin forderte einen »Transformationsfonds« – zum erfolgreichen Wandel und zur Rettung der Industrie, wie sie sagte. »Sonst verlieren wir Akzeptanz für die klimaneutrale und digitale Transformation unserer Wirtschaft – und letztlich auch der Demokratie.« Die Krise der deutschen Automobilhersteller sei zwar auch ein Ergebnis falscher Entscheidungen der Konzernmanager gewesen. Doch gebe es dort auch einen globalen Kampf um Marktanteile. »Schon deshalb sollte die Politik ein ureigenes Interesse daran haben, den deutschen und europäischen Markt zu stärken«, sagte Fahimi und forderte die Förderung des privaten Kaufs von Elektroautos und Plug-in-Hybriden.

Den Auftrag der Gewerkschaften sieht der DGB 75 Jahre nach seiner Gründung darin, die »gesellschaftliche Unsicherheit« durch den technologischen Wandel einzudämmen. »Den Wandel zu gestalten, die Demokratie zu verteidigen und die Menschen sicher durch unruhige Zeiten zu begleiten, ist bis heute unser Auftrag«, erklärte der Gewerkschaftsbund zu seinem Geburtstag. Nach wie vor gehe es für den DGB um »mehr gesellschaftliche Mitbestimmung«.

Nun, zumindest zu seiner Gründung forderte der Gewerkschaftsbund neben Mitbestimmung ausdrücklich auch die Vergemeinschaftung von Schlüsselindustrien und eine zentrale volkswirtschaftliche Planung. Solche ökonomischen Ziele liegen dem DGB heute fern. Und auch 1949 waren sie eher Zugeständnisse an den klassenkämpferischen Teil der Gewerkschaftsbewegung. Die »politische Neutralität«, auf die die »Einheitsgewerkschaft« DGB heute so stolz ist, hielten die kommunistischen und linken Gewerkschafter angesichts des »Wiedererstarkens der schwärzesten Reaktion« (Karl Mößner, IG Metall Stuttgart, auf dem Gründungskongress am 13. Oktober 1949) nämlich für einen verhängnisvollen Fehler.

Der Gewerkschaftsbund wurde am 13. Oktober 1949 in München gegründet. Anfang der 1970er Jahre hatten die DGB-Gewerkschaften an die sieben Millionen Mitglieder. 2010 waren es noch mehr als sechs Millionen – obwohl sich die DGB-Gewerkschaften 1990 nach Osten ausdehnten (und dabei aber bewusst darauf verzichteten, die fast neun Millionen Mitglieder des FDGB en bloc zu übernehmen). Heut sind es ungefähr 5,7 Millionen. Im letzten Jahr sind seit langem erstmals wieder mehr Menschen einer Gewerkschaft beigetreten als ausgetreten. Zieht man die Austritte ab, bleibt von den 437.000 Neuzugängen ein Plus von 21.885 Mitgliedern.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (13. Oktober 2024 um 20:33 Uhr)
    Einheizgewerkschaft statt Eintheitsgewerkschaft. Diese Forderung stellten wir schon in den 80er Jahren, kurz nach dem Streik für den Siebenstundentag. Und Eiderdaus, was anwortet der google auf die Frage nach »Einheizgewerkschaft«? Das: www.jungewelt.de/2009/04-30/index.php und das: www.jungewelt.de/beilage/art/264019: »Umrüsten oder sterben«. Lektüre strengstens empfohlen!

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