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Aus: Ausgabe vom 14.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Ernte 24

Ernte 24: Das Trestertrauma

Von Thomas Behlert
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Aus Äpfeln soll Wein werden, nicht nur in der Normandie, sondern auch in Sachsen (Ebersbach, 14.9.1983)

Oft mussten wir Studenten der Landwirtschaft auf den Feldern und in den Plantagen tatkräftig mit anpacken. So fuhren wir im Hochsommer Mähdrescher oder zerschundene russische Traktoren, gingen im Herbst auf die Kartoffelfelder, um die nicht von der Erntemaschine erfassten Kartoffeln einzusammeln, oder wir pflückten im Obstbau Äpfel von den Bäumen.

So kam es mal wieder, dass eine große LPG nach unserer Arbeitskraft verlangte und uns mit Traktor und Hänger abholte. In Unterkünften, die sehr idyllisch zwischen großen Schweineställen lagen, richteten wir uns kurz ein, um dann gleich in die Apfelplantage überführt zu werden. Es war ein ganz hervorragender Sommer, denn die Bäume waren voller Früchte, die festangestellten Genossenschaftsbäuerinnen kamen mit der Ernte nicht nach. Der Winterapfel rief laut und kläglich: »Pflückt uns!«

Erst einmal ließen wir uns »Spartan«, »Clivia« und »Kalco«/»Carola« ordentlich schmecken. Es musste von uns schließlich festgestellt werden, ob die Obstversuchsanstalt Müncheberg auch ordentliche Sorten gezüchtet hatte. Ob sie nun »Alkmene«, der »Louisen­apfel«, »Jonathan« oder »Herma« hießen, war uns egal, denn wir saßen nicht mehr im warmen Vorlesungssaal, sondern stolperten durch die endlosen Reihen der Apfelplantage. Nach einigen Tagen zog die LPG einige frierende Studenten ab, damit sie in den Obstweinanlagen aushelfen konnten. Die für 0,7 Liter Wein bereitgestellten Flaschen mussten gesäubert, am Band das alkoholische Getränk in die Flaschen geleitet und die Etiketten draufgeklebt werden. Schnell hatten wir das einfache Prinzip der Flaschenfüllung kapiert, jeder nahm seinen zugewiesenen Platz ein.

Die sehr alte Abfüllanlage, erbaut 1924, bestand aus heißen Rohren, durch die Obstwein floss. Aus allen Verbindungen tropfte es, die gepressten Obstreste lagen im und um das Gebäude herum, dampften vor sich hin und wurden mit der Zeit immer rutschiger. Die Gummistiefel klebten, oft verbrannte man sich, denn die fertigen Flaschen waren einfach nur heiß. Irgendwann kam meinem Freund und Mitstudenten Elle die Idee, doch auch mal den Apfelwein, den Johannisbeerwein oder den Mehrfruchtwein zu kosten. Obwohl wir sahen, was alles an Obst und welche Zusatzstoffe (Blätter, Würmer, Apfelkerne) in die Anlage gelangten, griffen wir beherzt zu. Damit unsere Studienkollegen, die immer noch in den Apfelplantagen schufteten, den Fruchtwein (20 Prozent Alkohol) genießen konnten, steckten wir zudem manche Flasche ein und tranken sie am Abend gemeinsam aus.

Doch einmal hatte ich es zu gut gemeint und ließ mir mehrere Flaschen »Mehrfruchttischwein« schmecken. Zuviel Obstflüssigkeit brachte meinen Magen in Aufruhr, klopfte an meine Schädeldecke und vernebelte mein Hirn. Auf dem Weg nach draußen rutschten meine Stiefel weg, und ich klatschte mit voller Wucht in die Obstpressereste, die gerade frisch aus dem Entsafter kamen und als großer dampfender Haufen auf dem LPG-Platz lagen. Da ruhte ich nun warm und weich und schlief ein. Zum Feierabend wurde mein Fehlen bemerkt, und man suchte, fand und weckte mich. Völlig verklebt wankte ich in die Unterkunft. Viele kleine Kinder, die noch draußen spielten, rannten schreiend nach Hause, und Mütter zogen ihre Töchter vom Fenster weg. Schließlich sprangen wir alle in den Dorflöschteich, wuschen uns und tranken dann am angeheizten Kachelofen der Dorfkneipe einige große Biere.

Bis heute trinke ich keinen Obstwein und lasse auch die Finger von süßen Obstschnäpsen. Irgendwie ­schade.

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