Raus aus der Krise
Von Ulrike EiflerIn wenigen Tagen kommen die Delegierten von Die Linke in Halle zu ihrem Parteitag zusammen. Viel wird von den dort getroffenen Entscheidungen abhängen. Denn die Partei ist in einer tiefen Krise. Strategische Unklarheiten und zögerliche Schwerpunktsetzungen in der jüngeren Vergangenheit haben zu hohen Stimmenverlusten bei den EU- und Landtagswahlen geführt. Dieser Prozess ist nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Diskurs über Zeitenwende und Militarisierung zu betrachten. Die im September vom EU-Parlament beschlossene Resolution zur Nutzung westlicher Waffen gegen militärische Ziele in Russland durch Kiew, die Debatte über die Freigabe von Langstreckenraketen oder die ab 2026 geplante Stationierung US-amerikanischer Erstschlagswaffen in Deutschland zeigen: Der Krieg gegen Russland wird aktiv vorbereitet. Dadurch wird das Friedensthema für die Menschen in der Bundesrepublik zu einer existentiellen Frage. Und eben dadurch wird sie es auch für Die Linke. Will die Partei eine Zukunft haben, muss in Halle gelingen, über eine personelle Neuaufstellung hinaus das friedenspolitische Profil hervorzuheben. Tut sie das nicht, ist es ein weiterer Schritt in Richtung Bedeutungslosigkeit.
Zunehmende Blockkonfrontation
Für eine stärkere friedenspolitische Positionierung der Linken muss die Partei genauer in der Analyse der gegenwärtigen geopolitischen Transformation werden und dabei Deutschland als aufstrebende imperialistische Macht in den Kontext geopolitischer Zuspitzungen einordnen. Dabei muss wahrgenommen werden, dass der Ukraine-Krieg in vielerlei Hinsicht die Weichen für die nächstgrößere Auseinandersetzung stellt. Denn er befördert das Auseinanderfallen der Staaten in zwei politisch und ökonomisch konkurrierende Blöcke. Er dient außerdem als Laboratorium für die moderne Kriegführung großer Industrienationen – nicht zuletzt im Hinblick auf eine daten- und drohnenbasierte militärische Auseinandersetzung. Gleichzeitig schärft er die geopolitische Profilierung der NATO, und natürlich befördert er die Militarisierung westlicher Gesellschaften.
Hinter diesen Entwicklungen steht der sich zuspitzende Kampf um die Neuordnung der globalen wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse und der drohende Zusammenstoß der Großmächte USA und China. Ob sich dieser Konflikt zu einem dritten Weltkrieg auswachsen wird, hängt nicht zuletzt auch vom Verlauf des Ukraine-Krieges ab. Eine verantwortungsvolle Politik der Bundesregierung im Sinne des Grundgesetzes bestünde daher in einer Stärkung von Diplomatie und Entspannungspolitik, um einen militärischen Zusammenstoß zwischen den konkurrierenden Großmächten zu vermeiden. Doch die Ampelkoalition tut das Gegenteil: Indem sie ihren Platz an der Seite einer der Großmächte beansprucht, wird sie zur Konfliktpartei und trägt maßgeblich zur entstehenden Blockbildung bei.
Gleichzeitig stellt sie eifrig die Weichen für Krieg. Junge Menschen werden mit falschen Zukunfts- und Aufstiegsversprechen in die Bundeswehr gelockt. Die Länder bauen Heimatschutzregimenter auf, in denen Freiwillige eine siebzehntägige Ausbildung erhalten und dabei den Umgang mit der Waffe, die Verteidigung der kritischen Infrastruktur und sogar den Einsatz gegen Demonstranten trainieren. Auch das Gesundheitssystem wird an die Zeitenwende angepasst. In gemeinsamen Symposien arbeiten Ärztekammern und Bundeswehr daran, das historisch begründete verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen dem zivilen Gesundheitssektor und den Sicherheitsbehörden auszuhebeln. Die »zivilmilitärische« Sicherheit soll intensiviert werden. Zivilschutzübungen und Dekontaminationsausbildungen von Pflegekräften finden bereits auf Truppenübungsplätzen der Bundeswehr statt. Außerdem ist ein Gesundheitssicherstellungskonzept in Arbeit, das die medizinische Versorgung von Soldaten in bislang unvorstellbaren Größenordnungen vorbereiten soll. Die Behandlung ukrainischer Soldaten in deutschen Krankenhäusern findet schon jetzt statt. Dadurch soll die Versorgung von Kriegsverletzungen erlernt werden.
Doch damit nicht genug: In Hamburg wird der Hafen zum NATO- und damit zum Kriegshafen erklärt. In Bayern werden Lehrerinnen und Lehrer verpflichtet, Soldaten in den Unterricht einzuladen. Kritische Lehrkräfte an den Hochschulen sollten durch das Bildungsministerium mit Fördermittelentzug diszipliniert werden. Und für den im Konfliktfall wichtigen Post-, Zustell- und Logistikbereich wird im neuen Postrechtsmodernisierungsgesetz durch Bezugnahme auf Artikel 80 des Grundgesetzes das Streikrecht für die dort Beschäftigten eingeschränkt.
Riss in der Partei
Nicht grundlos also hatte die Friedensbewegung für den 3. Oktober zu einer großen Antikriegsdemonstration aufgerufen. Ein kraftvolles Signal aus der Zivilgesellschaft sollte deutlich machen: Die Bewegung hat das Potential, die Kriegsvorbereitungen der Bundesregierung zu durchkreuzen. Und obwohl sich große gesellschaftliche Akteure wie Kirchen oder Gewerkschaften bei der Mobilisierung weitestgehend zurückhielten und die Vorsitzenden von SPD und Grünen lieber die Militarisierung vorantreiben, als der Friedensbewegung ein infrastrukturelles Rückgrat zu sein, folgten dem Aufruf mehr als 40.000 Menschen.
Die Demonstration machte aber auch den politischen Riss sichtbar, der sich aufgrund der Friedensfrage durch die Linkspartei zieht. Während viele Kreis- und Landesverbände sowie innerparteiliche Zusammenschlüsse Busfahrten nach Berlin organisierten und es sogar einen eigenen Block mit Lautsprecherwagen, Musik und politischen Reden gab, suchte man die Parteiführung auf der Demonstration vergebens. Teile der sogenannten Bewegungslinken kritisierten das Demobündnis und erklärten über die sozialen Netzwerke öffentlich, dass sie nicht teilnähmen, weil die Demonstration den russischen Imperialismus stärke. Und die Progressive Linke, deren Vertreter andersdenkende Genossen schon mal gern als »pazifistische Bellizisten« verächtlich machen, distanzierte sich gar mit einem ganzen Positionspapier.
Die in diesem Positionspapier angeführten Kritikpunkte an den Organisatoren der Friedensdemonstration scheinen, wenn man genau hinsieht, auch im Beschluss des Parteivorstandes durch. Dieser rief zwar zur Teilnehme auf, jedoch mit sich zum Teil widersprechenden Forderungen in einem eigenen Appell. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es war gut und richtig, dass der Vorstand der Partei mit seinem Beschluss eine Orientierung gab. Doch die Forderungen im Aufruf zeigen die politische Leerstelle sehr deutlich: Sie basierten nicht auf einer geopolitischen Einordnung und einer Analyse der gesellschaftlichen Krisensituation, sondern folgten vielmehr einem moralischen Empfinden. Beklagt wurde, dass der Aufruf zum Frieden sich nicht oder nicht laut genug von Putin distanziere. Beklagt wurde, dass nicht ausreichend auf das Leid der ukrainischen Bevölkerung Bezug genommen werde. Beklagt wurde auch, dass Russland als Aggressor nicht klar benannt worden sei. Und natürlich störte man sich daran, dass die Organisatoren mit Sahra Wagenknecht auf einer Bühne standen, ohne zu realisieren, dass die Friedensbewegung im Augenblick auch deshalb am BSW nicht vorbeikommt, weil Die Linke ihren Platz dort nicht ausfüllt.
Die Positionierung des Parteivorstandes lässt außer acht, dass die gegenwärtige militaristische Durchdringung der Gesellschaft vor allem darauf abzielt, die Bevölkerung auf Kriegskurs zu bringen. Begriffe wie »Kriegstüchtigkeit« oder »Kriegswirtschaft« sind keine ungewollten Fauxpas. Sie dienen vielmehr dazu, die Bevölkerung dazu zu bringen, den kommenden Krieg gegen Russland als notwendig zu akzeptieren. Diese Pläne können nur durch ein starkes friedenspolitisches Signal aus der Zivilgesellschaft durchkreuzt werden.
Hinein in die Friedensbewegung
Sich immer wieder zu vergewissern, wo genau man im Konflikt zwischen den Klassen steht, ist gerade in diesen unübersichtlichen Zeiten für die Linke existentiell. Dass es Olaf Scholz und Boris Pistorius in der »Zeitenwende« nicht zwingend darum geht, dass sich die Ukraine gegen ihren Aggressor Russland verteidigen kann, sondern in erster Linie darum, dass Deutschland zu alter »Führungsstärke« zurückfindet, machte der Kanzler Ende August 2022 in einer Rede an der Prager Karls-Universität deutlich. Und dass die Ampel zur Durchsetzung dieser Strategie nicht einmal davor zurückschreckt, das Rudolf-Heß-Zitat »Kanonen statt Butter« zu benutzen und damit auf die Referenz eines ehemaligern Hitler-Vertrauten zurückgreift, um Sozialkürzungen zu rechtfertigen, sollte der Linken ebenfalls dabei helfen, sich im politischen Spektrum zurechtzufinden.
Statt also fehlende Empathie, Moral und Haltung in Bündnisaufrufen zu beklagen, muss die Partei verstehen, dass die Friedensbewegung nur dann stark ist, wenn sie heterogen ist. Das war sie im übrigen in den 1980er Jahren. Auch damals gab es unterschiedliche Einschätzungen zur Sowjetunion oder dem Ostblock, trotzdem gingen Sozialisten unterschiedlicher politischer Tradition, Sozialdemokraten, Grüne, gläubige Christen, linke Gewerkschafter und sogar uniformierte Bundeswehr-Soldaten gemeinsam für den Frieden auf die Straße. Die Linke darf in der Friedensfrage nicht zögern, sie muss sich als sozialistische Partei stolz und selbstbewusst in die Friedensbewegung einreihen. Dies nicht zu tun, das schwächt die gesellschaftliche Bewegung gegen den Militarismus, und es schwächt die Partei. Und es stärkt zugleich die Kriegsvorbereitungen der Bundesregierung. Ob der Kampf um die Neuordnung der Welt mit einem Krieg einhergehen wird, der das Potential hat, den gesamten Planeten unbewohnbar zu machen, wird letztlich nur von der Stärke der Friedensbewegung abhängen. Die Linke hat hier eine Aufgabe.
Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Betrieb und Gewerkschaft von Die Linke und kandidiert für den Bundesvorstand der Partei. Sie hat das Thesenpapier zum Parteitag unterzeichnet, das wir im Folgenden abdrucken.
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Schluss mit dem »Weiter so«
vom 15.10.2024
Ich bin seinerzeit Vertrauensmann einer Ausbildungskompanie in einem Münsteraner PzAufklLehr-Bataillon gewesen (Boeselager), als im politischen Unterricht der Hauptmann uns Rekruten eindringlich davor gewarnt hat in Uniform an einer der drei parallel unmittelbar bevorstehenden Großdemonstrationen im November 1983 teilzunehmen.
Das ist symptomatisch gewesen für die seinerzeitigen gesellschaftspolitisch weitreichenden Auswirkungen der Friedensbewegung auch in Militärkreise aller Dienstgrade hinein, für die spürbar gewachsene Nervosität der Herren von der Hardthöhe (Wörner/Altenburg).
Ich kann mich im übrigen nicht erinnern, dass auch nur irgendeiner von uns anschließend in den »Bau« gekommen ist. Heute ist die Lage jedoch ungleich brisanter. Diese neuerlichen ohne jegliche öffentliche demokratische Legitimation auf deutschem Boden zu stationierenden strategischen Erstschlagswaffen entsprechen der US-Doktrin des Präventivschlags und werden damit selbst zu treffsicheren Objekten des zu antizipierenden russischen Gegenpräventiveinsatzes – Raketen sind Magneten!
Im übrigen dienen sie einer militärischen Absicherungsstrategie, falls es zu Spannungen und dem kriegerischen Konflikt der USA bzw. China in Süd- bzw. Südostasien käme, dienen diese Waffen in Europa dem In-Schach-Halten des möglichen Bündnispartners von China. Was alles andere als beruhigend ist, denn wie kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedarf es ja »nur« eines Zwischenfalls wie den des Attentats von Sarajevo, dann greifen die sogenannten NATO-Allianz- und Beistandsverpflichtungen.
So ist es also erforderlich, nicht allein den Berliner Appell zu unterschreiben, sondern einer umfassenderen internationalen Friedensbewegung neue Stärke zu verleihen – gegen »Kriegstüchtigkeit« und Rüstungswahn aufzustehen. Bilaterale bzw. eskalierende Konflikte – wie gegenwärtig erkennbar – werden nur beendet durch sofortigen Waffenstillstand, vertrauensbildende, friedenskooperative Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der UNO, d. h. wirkungsvolle, in zivilgesellschaftlicher Verantwortung durchzuführende, kontrollierbare Abrüstungsschritte auf jeder Seite.
Die zu erreichende Stärke der Friedensbewegung liegt nicht zuletzt in der Einheit der Vielfalt. Und wie Sahra Wagenknecht völlig zu Recht gesagt hat auf der Friedenskundgebung am 3. Oktober in Berlin: Wir müssen mehr werden!