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Aus: Ausgabe vom 15.10.2024, Seite 2 / Inland
Ausbeutung von Fernfahrern

»Vorschriften kommen nicht in der Kabine an«

EuGH-Urteil zu Pausenregeln für Fernfahrer ändert nichts an ausbeuterischer Praxis. Ein Gespräch mit Michael Wahl
Interview: Gitta Düperthal
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Streik gegen prekäre Arbeitsbedingungen: Polnische Trucker auf dem Rastplatz Gräfenhausen (18.7.2023)

Der EU-Gerichtshof, EuGH, hat jüngst die Klagen von sieben ost- und südeuropäischen Mitgliedstaaten gegen ein 2020 beschlossenes EU-Reformvorhaben mit einem Urteil teilweise abgelehnt. Was folgt aus der Entscheidung zum »EU-Mobilitätspaket«, das die Arbeitsbedingungen von Fernfahrern regelt, aus gewerkschaftlicher Sicht?

Nach EU-Parlament, Kommission und Rat hat auch der EuGH klar bestätigt: Die Arbeitsbedingungen von Fernfahrern müssen verbessert werden. Das ist zu begrüßen. Viele der von der EU beschlossenen Maßnahmen hat der EuGH für angemessen erklärt.

Unter anderem ging es um die Regel, dass Lkw-Fahrer die wöchentliche Ruhezeit nicht mehr im Fahrzeug verbringen dürfen. Was bedeutet es für sie, wenn das gültig bleibt?

Die Vorschrift ist nicht neu. Die EU stellt erneut grundsätzlich klar, dass Menschen sich außerhalb von Autobahnlärm und am besten an ihrem Wohnort erholen sollen. Eine weitere Regel besagt, dass Fernfahrer nach vier Wochen die Möglichkeit haben müssen, die Ruhezeit an einem Ort zu verbringen, den sie selbst wählen: Wir müssen aber feststellen, dass die meisten unter dem Druck, mit dem in der Branche gearbeitet wird, das gar nicht wahrnehmen können. Unser Team von »Faire Mobilität« hat in mehreren Sprachen Gespräche mit mehr als 10.000 Fahrern an 300 Parkplätzen geführt: Arbeitgeber drängen sie oft, in mehreren Sprachen zu unterschreiben, dass sie selbst die Ruhepausen im Lkw verbringen wollen. Mit solchen Bescheinigungen versuchen sich die Arbeitgeber gegenüber Kontrollen abzusichern.

Geklagt hatten Litauen, Bulgarien, Rumänien, Zypern, Ungarn, Malta und Polen gegen das »Mobilitätspaket« vor dem EuGH. Taten sie das quasi im Interesse der Unternehmen?

Das möchte ich nicht kommentieren. Aber aus Polen und Litauen setzen viele Unternehmen ganze Lkw-Flotten ständig in Westeuropa ein; viele kehren überhaupt nicht in ihre Herkunftsländer zurück. Obgleich ihr Unternehmenssitz in Osteuropa ist, lassen Firmen Waren durch Westeuropa transportieren. Ihr Geschäftsmodell sieht vor, Fahrer so flexibel wie möglich einzusetzen. Also leben viele acht Wochen ununterbrochen im Lkw. Andere verbringen oft bis zu sechs Monate dort, arbeiten bis zu 15 Stunden lang ohne Pause. Meistens dürfen sie sich erst in der dritten Woche überhaupt länger als einen Tag erholen. In der Praxis haben sie keine Möglichkeit, nach vier Wochen zu ihrer Familie zurückzukehren, können also kein Familienleben führen. Das hat auch Konsequenzen für die Verkehrssicherheit: Unter solchen Bedingungen kann sich niemand angemessen erholen, um täglich 40 Tonnen über die Autobahn zu bringen.

Erfolg hatte die Klage der Länder allerdings gegen die Pflicht, international fahrende Lkw alle acht Wochen zum Verkehrsunternehmen zurückfahren zu lassen.

Parlament und Rat hätten beim Erlass der Maßnahme offenbar nicht ausreichend Informationen gehabt, um die Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, erklärte der EuGH. Das bedeutet also nicht, dass diese nicht angemessen wäre, sondern nur, dass die EU es besser begründen muss. Tatsächlich ist die Praxis der Fahrer immer noch von struktureller Ausbeutung geprägt. Wir meinen: Es muss Kontrollen im Sinn der Fahrer geben, so dass diese mitwirken können. Aktuell ist das nicht der Fall. Beispiel: In Deutschland überwacht das Bundesamt für Logistik und Mobilität das Einhalten der Lenk- und Ruhezeiten. Wird ein Fahrer dabei erwischt, dass er das Verbot übertritt, die wöchentlich vorgesehene Pause von 45 Stunden in der Kabine zu schlafen, muss er selbst Strafe zahlen. Aus unserer Sicht ist das falsch. Immer wieder hören wir von Fahrern, dass sie sich nicht aussuchen können, wie lange sie ihre Pausen machen und wo sie diese verbringen.

Welchen Schluss ziehen Sie aus dieser EuGH-Entscheidung?

Viele Fahrer müssen erfahren, dass ihre Rechte auf gerechte Entlohnung und Erholungszeiten nicht eingehalten werden. Schutzvorschriften kommen nicht in der Kabine an. Daran ändert auch der Richterspruch nichts. Wir bieten weiterhin unsere Beratung in den Herkunftssprachen der Fahrer an und versuchen sie zu bestärken, auf ihre Rechte zu bestehen.

Michael Wahl ist Koordinator des Branchenschwerpunkts »Internationaler Straßentransport« beim DGB-Beratungsnetzwerk »Faire Mobilität« in Berlin

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