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Aus: Ausgabe vom 15.10.2024, Seite 5 / Inland
Pharmaindustrie

Lobby für »Lex Lilly«

Ansiedlung des US-Pharmariesen Eli Lilly im Gegenzug für freundliches Medizinforschungsgesetz? Dokumente deuten auf Chefsache hin
Von Ralf Wurzbacher
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Sandgeschubse in Alzey: Spatenstich mit Bundeskanzler Olaf Scholz (M.) im April 2024

Das Unternehmen Eli Lilly will Fettleibigen beim Abnehmen helfen. Mounjaro, ein Medikament, das auch bei Diabetikern Anwendung findet, gilt als der kommende Kassenschlager des Arzneimittelriesen. Aber so richtig innovativ ist das Präparat, das auch als »Abnehmspritze« genutzt wird, gar nicht. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Kassen und Ärzten hat seine Wirkung »im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie« geprüft. Im Mai stellte das Gremium für nahezu alle untersuchten Patientengruppen fest: »Ein Zusatznutzen ist nicht belegt.« Erwartungsgemäß werden die Krankenkassen wegen der Bewertung einen stattlichen Rabatt aushandeln, mithin könnte das den Verkaufspreis in Zukunft mehr als halbieren. Das freilich wäre nicht gut fürs Geschäft.

Allerdings hat Eli Lilly für diesen Fall vorgebaut – und zwar buchstäblich. Am 8. April dieses Jahres war reichlich Politprominenz im rheinland-pfälzischen Alzey zum Spatenstich für ein hochmodernes Pharmawerk angetreten, mit dabei Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD). Seine Hightechanlage samt 1.000 Arbeitsplätzen will sich der US-Konzern 2,3 Milliarden Euro kosten lassen und das »Leuchtturmprojekt« ganz ohne staatliche Beihilfen stemmen, heißt es. Gleichwohl versicherte Scholz beim symbolischen Sandgeschubse: »Was immer wir als Bund tun können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das werden wir tun.«

Das war offenbar sehr ehrlich, wie sich angesichts der neuesten Enthüllungen von WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung (SZ) und des Rechercheteams »Investigate Europe« zeigt. Diese nähren den Verdacht, dass sich Eli Lilly den Beschluss zur Industrieansiedlung in Alzey politisch hat vergelten lassen – in Gestalt eines Gesetzes, das die Profitmaximierung in Deutschland und Europa leichter macht. Freigeklagte Dokumente offenbaren demnach, wie sich Scholz höchstpersönlich um den Fall gekümmert hat, etwa bei einem Telefonat mit Firmenboss David Ricks am 16. Februar 2023. Dem missfiel die deutsche Bestimmung, wonach besagte Preisregulierung für neue Medikamente, die ein Jahr auf dem Markt sind und keinen Zusatznutzen aufweisen, keiner Geheimhaltung unterliegt. Sobald der neu verhandelte Preis öffentlich ist, verlangen andere europäische Staaten dieselben Abstriche. Das mindert die Umsätze mit den Krankenkassen, jedoch auch mit Privatleuten, die sich das betreffende Präparat auf eigene Rechnung leisten. Wer um die Rabatte weiß, lässt sich nicht das Doppelte bis Dreifache dafür abknöpfen.

Aber Recht lässt sich ändern. Das inzwischen durch Bundestag und Bundesrat verabschiedete Medizinforschungsgesetz (MFG) gestattet es den Unternehmen, nach Inkrafttreten die für die Kassen geltenden Preise unter Verschluss zu halten. Dabei sind die vorangegangenen Kungeleien aktenkundig. Gemäß einem Vermerk vom 13. September 2023 des Referats 117 des Bundesgesundheitsministeriums könne CEO Ricks mitgeteilt werden, »dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen«. Und schon Wochen davor hatte ein Ministeriumsmitarbeiter notiert, Eli Lilly knüpfe seine Investitionsentscheidung an eben die Zusage, mit der Preistransparenz Schluss zu machen. Tatsächlich hatte die Organisation »Investigative Europe« die Freigabe der Akten schon im Dezember 2023 gefordert, wurde aber lange hingehalten. Hätte die Öffentlichkeit schon früher die Hinweise für eine »Lex Lilly« gekannt, wäre das Gesetzeswerk kaum so einfach durchgegangen.

Natürlich weisen der Konzern und die Bundesregierung die Vorwürfe von sich. Aus dem BMG verlautete, »Lauterbach sind keine Vermerke bekannt, in denen er sich Eli Lilly gegenüber zu diesem Thema geäußert hätte«, für ihn persönlich habe die Haltung des Unternehmens »keine Rolle bei der Entwicklung der Pharmastrategie gespielt«. Nur warum hatte der Minister davor jahrelang entsprechende Vorstöße der Industrie noch abgewehrt? Selbst in neueren Stellungnahmen seiner Fachleute war von »erheblichen Problemen« und drohenden »Mehrkosten« die Rede. Dass sich Lauterbach erst durch Scholz’ Intervention hat umbiegen lassen, erscheint ziemlich naheliegend. Fraglich nur, ob sich der Kanzler daran wird erinnern ­können.

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