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Aus: Ausgabe vom 15.10.2024, Seite 6 / Ausland
Menschenrechte

Kein Asyl mehr in Polen

Premier Tusk kündigt »vorübergehende und örtlich beschränkte Aussetzung« des Menschenrechts an. Nicht nur Juristen äußern deutliche Zweifel
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Das Recht wird auch in Polen der Rechten geopfert und das Land für Schutzsuchende abgeriegelt (Topiło, 3.6.2024)

Polens Regierungschef Donald Tusk hat eine weitgehende Streichung des Rechts auf Asyl in seinem Land angekündigt. Es gehe darum, die Kontrolle über die Grenzen und darüber, wer aus welchem Grund nach Polen einreisen wolle, zurückzugewinnen, sagte Tusk am Sonnabend auf einer Parteiveranstaltung in Warschau. Er erwarte, dass die EU Polens Vorgehen akzeptieren werde, so Tusk weiter. Darauf werde er mit aller Härte und Konsequenz bestehen.

Wie die Aussetzung des Asylrechts im einzelnen ausgestaltet werden soll, wird das polnische Kabinett an diesem Dienstag entscheiden. Vorab war in erster Linie zu hören, dass es denkbar sei, auf dem Gelände der an Belarus angrenzenden Wojewodschaft Podlasie die Möglichkeit auszuschließen, Asylanträge überhaupt zu stellen. Andere Medien berichteten, generell solle die Möglichkeit, Asyl zu beantragen, für alle diejenigen gestrichen werden, die illegal ins Land gekommen seien. Jede dieser beiden Varianten träfe in erster Linie die Personen, die versuchen, sich über die seit 2021 zunehmend befestigte polnisch-belarussische Grenze nach Polen durchzuschlagen. Hier gibt es seit 2022 überhaupt nur noch einen offenen Grenzübergang, wo man offiziell die Einreise versuchen und das Wort »Asyl« in den Mund nehmen könnte – wenn man dort nicht sowieso von vornherein zurückgewiesen würde. In den Wald- und Sumpfgebieten, die den Großteil des Grenzbezirks ausmachen, machen polnische Grenzbeamte und Soldaten der Territorialverteidigung schon seit Monaten kurzen Prozess mit Asylsuchenden, die sie aufgreifen: Sie werden mit physischem Nachdruck über die Grenzlinie nach Belarus zurückgedrängt.

Im Sommer hatte der polnische Senat als zweite Parlamentskammer mit großer Mehrheit ein Gesetz abgenickt, das Grenzbeamten, Polizisten und Soldaten den Schusswaffengebrauch an der Grenze auch in Situationen freigibt, in denen er normalerweise nicht erlaubt ist. Es muss sich nur eine Notwehrsituation finden oder konstruieren lassen. Anlass für die Verschärfung war ein Vorfall im Frühjahr, wo in einem Handgemenge mit Schutzsuchenden am Grenzzaun ein 20jähriger Soldat der Territorialverteidigung durch die Absperrung hindurch von einem Geflüchteten erstochen worden war.

Menschenrechtsorganisationen reagierten empört auf Tusks Ankündigung, Juristen wiesen auf große rechtliche Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung einer solchen Aussetzung des Asylrechts hin: Polen müsse dann auch reihenweise internationale Verträge wie die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und die EU-Grundrechtecharta aufkündigen. Verfassungsrechtlich sehen Juristen das Problem, dass der Vorabausschluss auch schon der Möglichkeit, auf polnischem Boden einen Antrag auf Asyl zu stellen, das Rechtsprinzip der Garantie rechtlichen Gehörs für Betroffene außer Kraft setze.

Tusks Vorstoß orientiert sich an einem Gesetz, das im Sommer in Finnland in Kraft getreten ist. Es war von der ultrarechten Partei der »Wahren Finnen« eingebracht worden und erlaubt den Behörden, unerwünschte Personen direkt an der Grenze zurückzuweisen. Finnland sieht sich ebenso wie Polen einer »gesteuerten und manipulierten Migrationswelle« ausgesetzt, für die beide Länder Russland und Belarus verantwortlich machen. Geflüchtete in die EU weiterzureichen sei Teil einer »hybriden Kriegführung« zum Zweck der »politischen Destabilisierung« der EU. Die Zahl der Schutzsuchenden, die die Befestigungen an der polnisch-belarussischen Grenze überwinden konnten, lag im ersten Halbjahr 2024 bei knapp 2.000.

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