Symbolpolitik aus Bern
Von Dominic ItenDie Schweizer Außenpolitik durchlebt turbulente Tage. Zuerst verärgerte Ressortchef Ignazio Cassis Ende September seine »Freunde« in Kiew, weil er sich an den Ukraine-Friedensplänen Chinas und Brasiliens beteiligen will. Diese seien »inakzeptabel«, da sie die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine nicht garantieren würden, kommentierte das Außenministerium in Kiew.
Doch der Ärger dürfte von kurzer Dauer gewesen sein. Wenige Tage später wurde bekannt, dass die Schweiz auf indirektem Wege Panzerabwehrwaffen des Typs RGW 90 an die Ukraine liefern wird. Die 2016 beschlossene Anschaffung dieses Waffensystems sollte in drei Schritten abgewickelt werden. Die ersten beiden Lieferungen an die Schweiz sind planmäßig erfolgt, die dritte soll nun an Deutschland abgetreten werden, das die Panzerabwehrwaffen weitergeben wird. Ein weiterer Kniff, das Schweizer Kriegsmaterialgesetz zu umgehen, das die Ausfuhr von Militärgerät in Kriegsgebiete eigentlich verbietet. Weil sich aber das Material zu keinem Zeitpunkt in der Schweiz befinden wird, fällt der Deal nicht unter die Bestimmungen dieses Gesetzes.
Bekenntnisse zu Friedensplänen erscheinen vor dem Hintergrund solcher Deals unglaubwürdig, sind jedoch Teil einer erprobten außenpolitischen Strategie: Je fragwürdiger die eigene Neutralität, desto stärker wird sie inszeniert. Diese Strategie gipfelte im Juni in einer Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock, die trotz lausiger friedenspolitischer Ergebnisse als diplomatischer Erfolg gefeiert wurde.
Dasselbe Muster lässt sich nun in bezug auf den Nahen Osten beobachten. Zuerst kürzte der Nationalrat dem Palästina-Hilfswerk UNRWA sämtliche Gelder. Als die UN-Generalversammlung dann Mitte September mit einer Zweidrittelmehrheit eine Resolution verabschiedete, die Israel auffordert, seine Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten bis spätestens in zwölf Monaten zu beenden, enthielt sich Bern der Stimme. Doch mit derselben von der Palästinensischen Nationalbehörde eingebrachten Resolution erteilte die UNO der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen den Auftrag, innerhalb von sechs Monaten eine Nahostkonferenz auszurichten. Das kommt Bern gerade richtig. Cassis sieht es als weitere Chance, sich international als Vermittler zu positionieren.
Die Stimmenthaltung bei der Resolution begründete der Außenminister mit der Sorge, dass der Sicherheitsaspekt für Israel nicht ausreichend berücksichtigt werde. Dennoch gibt sich die israelische Führung verärgert. Ihr UN-Botschafter Gilad Erdan bezeichnete die geplante Konferenz als eine Form von »diplomatischem Terrorismus«, der darauf abziele, sein Land einseitig zu verurteilen und dessen Sicherheitsinteressen zu untergraben. Israel und die USA stimmten gegen die UN-Resolution, Tel Aviv hat eine Teilnahme an einer Nahostkonferenz bereits ausgeschlossen.
Damit steht das Treffen vor demselben Problem wie der vergangene Ukraine-Gipfel: Die Hälfte der involvierten Kriegsparteien wird ihm fernbleiben. Mit einem Unterschied: Dieses Mal fehlt jene Partei, die weitgehend die Unterstützung des westlichen Blocks genießt. Dessen Aufforderungen an das israelische Regime, es möge doch seine Angriffe mäßigen, sind bisher keine nennenswerten Maßnahmen gefolgt. So ist auch das Programm der geplanten Konferenz nicht besonders ambitioniert. Der Schwerpunkt liegt auf dem Schutz der Zivilbevölkerung. Es soll sichergestellt werden, dass humanitäre Organisationen ungehinderten Zugang zu den betroffenen Gebieten erhalten, insbesondere zum Gazastreifen. Dies beinhaltet Waffenruhen und die Einrichtung von humanitären Korridoren, um die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern zu ermöglichen.
Ob darüber hinaus auch eine langfristige Lösung des Konflikts diskutiert wird, darf bezweifelt werden. Zwar soll die Konferenz angeblich den Weg für neue Verhandlungen zwischen Israel und Palästina ebnen und eine Zweistaatenlösung wieder ins Gespräch bringen – aber wie soll das gehen, wenn die israelische und wahrscheinlich auch die US-Vertretung fehlen? »Vielleicht geht es nur um Symbolpolitik«, vermutet die Neue Zürcher Zeitung – und liegt damit ausnahmsweise richtig.
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