Perfide Rhetorik
Von Reinhard LauterbachDie erste und wichtigste Lehre aus dem Umgang des demokratisch gewählten und »proeuropäischen« polnischen Regierungschefs Donald Tusk mit dem Recht Verfolgter auf Asyl ist, dass man sich auf Rechte nicht verlassen kann. Denn sie mögen als Ansprüche des einzelnen formuliert sein, aber sie bleiben in der Sache Genehmigungen seitens des Staates, die bei Bedarf widerrufen oder zum Nachteil der Unterworfenen geändert werden können. Das legt auch in der tagespolitischen Auseinandersetzung nahe, sich nicht allzusehr auf »demokratische Rechte« zu verlassen. Sie gelten so lange, wie sie den Staat nicht stören, und wenn sie das tun, wird eben das Recht passend gemacht. Tusks Aussage, er »erwarte«, dass die EU das polnische Vorgehen akzeptiere, enthält den unausgesprochenen Nachsatz: »nachdem sie unseren Vorgängern auch so vieles nachgesehen hat«. Und sie sagt einiges über die Verbreitung des politischen Voluntarismus in den Brüsseler Chefetagen, in denen sich Tusk ja lange genug aufgehalten hat.
Unmittelbar steht seine Äußerung im Kontext des anlaufenden Wahlkampfes für das Amt des Staatspräsidenten. Der »Liberale« Tusk will der PiS die migrantenfeindliche Agitation nicht überlassen, weil er weiß, dass sie in der polnischen Gesellschaft ankommt – und um die deutsche steht es genauso, um da keine Illusionen aufkommen zu lassen. Tusks Rhetorik, man wolle ja nur der »illegalen Migration« das Wasser abgraben, indem man »den Illegalen« klarmache, dass sie ohnehin keine Chance bekämen, ist freilich diesen gegenüber nichts als perfide: Unter der Tusk-Regierung ist die »legale« Visavergabe durch polnische Auslandsvertretungen um zwei Drittel zurückgegangen, und selbst wenn die PiS-Regierung mit der freihändigen Verteilung von Visa an »Menschen aus kulturell fremden asiatischen und afrikanischen Ländern« vorrangig Bedürfnisse ihrer Staatskonzerne an billiger Arbeitskraft befriedigt hat, stellte das halt doch auch eine Chance für ein paar Abgehängte aus der Sahelzone oder dem Mittleren Osten dar. Jetzt sagt Tusk ganz klar dazu, wen er in Polen sehen will: »Leute, die ehrlich arbeiten, Steuern zahlen und an ordentlichen Hochschulen ordentlich studieren«. Den Rest eben nicht.
Ein zweiter Aspekt von Tusks Ankündigung ist, dass das Asylsystem der EU gerade im Zeitraffer zusammenbricht. Anfang des Jahrhunderts erdacht, verlagerte das Prinzip der Antragstellung im ersten EU-Land auf der Reise Betroffener die Migrationslast auf die Länder an der Außengrenze und schonte die EU-Binnenstaaten wie Deutschland und Österreich, die »von Freunden umgeben« sind. Jetzt, wo die BRD ihrerseits Grenzkontrollen wiedereingeführt hat, entfällt für Staaten an der Außengrenze wie Polen der letzte Anlass, Schutzsuchende ein- und letztlich durchreisen zu lassen. Polen droht, selbst auf ihnen sitzenzubleiben, und macht dicht. Versucht es zumindest.
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