Industrie im Abbau
Von Kim NowakDer angekündigte Stellenabbau der Stahl Gerlafingen AG, die sich auf die Produktion von Recyclingstahl spezialisiert hat, sorgt für Aufsehen in der Schweiz. Das Stahlwerk im Kanton Solothurn, das im Besitz der italienischen Beltrame Group ist, hat angekündigt, 120 Werktätige zu entlassen. Dies bedeutet bei einer landesweiten Beschäftigtenzahl von etwas mehr als 400 Mitarbeitern, dass knapp 35 Prozent weniger Mitarbeiter beschäftigt sind. Bereits im Frühjahr schloss die Beltrame Group eine Produktionsstraße, die 59 Werktätige den Arbeitsplatz kostete. Die zwei größten Schweizer Gewerkschaften Unia und Syna forderten bereits Ende August zusammen mit dem Kaufmännischen Verband Schweiz (KVS), der mehr als 700.000 Beschäftigte vertritt, im Namen der Stahlwerke Gerlafingen in einem Brandbrief an den Bundesrat, staatlich zu intervenieren.
Darin fordern sie die zwei Bundesräte – Albert Rösti und Guy Parmelin von der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) – auf, ihre Forderungen zu erfüllen: unter anderem die Beseitigung der Exporthindernisse sowie eine Entlastung der sehr hohen Netznutzungskosten. Doch dem wurde keine Folge geleistet, ganz im Gegenteil: Wie 20 Minuten am Sonntag berichtete, betonte Parmelin, dass »Gerlafingen nicht systemrelevant« sei. Während die Europäische Union ihre Stahlwerke staatlich subventioniert, hat die Alpenrepublik kein Interesse daran. Damit drohe eine »Deindustrialisierung«, wie der Besitzer der Stahlwerke betont. Damit begründet der auch die weitere Massenentlassung: »Der Schweizer Staat zwingt mich schließlich dazu.«
Dieser Logik folgen jedoch die Gewerkschaften und der KVS absolut nicht. Wie sie in einer Pressemitteilung am Freitag betonten, sehen sie die Beltrame Group in der Pflicht, sowohl die Arbeitsplätze als auch den Standort Gerlafingen zu erhalten: »Die Beltrame Group muss für die Arbeiter Sicherheit schaffen, statt alle sechs Monate neue Massenentlassungen anzukündigen.« Unverbindliche Empfehlungen würden auch nicht mehr ausreichen. Die Gewerkschaften spielen damit auf die Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB) an. Die staatliche KBOB hob in einer Pressemitteilung vom 26. September zwei Punkte hervor, die in der Alpenrepublik umgesetzt werden sollen: das Klimaschutzgesetz, das eine klimaneutrale Schweiz bis zum Jahr 2050 vorsieht, und eine parlamentarische Initiative, die das Umweltschutzgesetz (UG) reformieren soll.
Die Gewerkschaften stellen sich dabei nicht gegen die Pläne, sondern fordern eine rasche, verbindliche Umsetzung. Besonders die Reform des UG sieht vor, dass der Bundesrat »die Verwendung umweltschonender und recycelter Baustoffe festlegen kann«. Doch aus dem »kann« muss eine Pflicht kommen: »Mit politischem Willen kann dazu jetzt eine griffige Verordnung aufgegleist werden.« Weitere Forderungen der Gewerkschaften und des KVS werden an die Beltrame Group adressiert. Während der Besitzer des Stahlwerks beweint, dass er täglich Geld verliere, müsse er allerdings Geld in die Hand nehmen und die Beltrame Group ein Bekenntnis ablegen, die Produktionsstätte in Gerlafingen zu erhalten.
Der Bundesrat habe erst in diesem Jahr »die Höchstbezugsdauer für Kurzzeitarbeitsentschädigung auf 18 Monate verlängert«. Die Gewerkschaften sehen also keinerlei Grund, die Schweiz faktisch zu deindustrialisieren. Mit dieser Position wollen sie auch in das anstehende Konsultationsverfahren gehen. »Wir betreiben keine Industriepolitik«, ist das Mantra des Bundesrats nach den Worten von Parmelin. Die Gewerkschaften und die Werktätigen werden sich diese Haltung jedoch nicht gefallen lassen. Wenn die Verhandlungen im Sande verlaufen und die Massenentlassungen weitergehen sollen, könnte der nächste Schritt ein bundesweiter Streik sein. Man kann es den Kolleginnen und Kollegen nur wünschen.
Aktuell versuchen die Gewerkschaften Unia und Syna sowie der KVS und Angestellte Schweiz, politische Maßnahmen zur Rettung des Recyclingbetriebs und für den Erhalt der Arbeitsplätze mit einer Petition unter dem Titel »Stahl Gerlafingen muss bleiben!« zu erzwingen. Das Werk sei »für den notwendigen ökologischen Umbau der Schweizer Wirtschaft von strategischer Bedeutung«, hieß es in einer am Montag veröffentlichten Pressemitteilung.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 24.03.2020
Rebellion und liebe Bitten
- 08.04.2019
»Ein Abbau kommt nicht in Frage«
- 15.08.2018
Arbeitsrechte nicht verhandelbar
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Heißer Herbst für Meloni-Regierung
vom 15.10.2024