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Aus: Ausgabe vom 15.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Theater

Komödie der Sklaverei

Das Stück »Die 60 Sklav*innen der Familie Kiez« von der Berliner Compagnie
Von Kai Köhler
Patrice und Janine.jpg
Im Zentrum das Smartphone: Diener (Abdul Samiu Saliou) einer Herrin (Ana Hauck)

Was tun? An der Wohnungstür steht ein Schwarzer, Patrice (Abdul Samiu Saliou), und erklärt, er sei der neue Sklave. Selbstverständlich weisen Janine (Ana Hauck) und ihr Vater Alfred (H. G. Fries) den Überraschungsgast zurück. Schließlich haben sie keinen Sklaven bestellt und sind überhaupt gegen Sklaverei. Doch Patrice bleibt beharrlich, und schließlich finden die Deutschen Gefallen an der Gelegenheit.

Die drei Personen in dem Stück von Helma Fries stehen für drei gesellschaftliche Positionen. Janine versucht sich als Influencerin und hat bisher eine überschaubare Zahl von Followern bei einer weniger überschaubaren Größe von Schulden angesammelt. Die Luxusgüter, deren Vermarktung sie plant, muss sie bislang noch selbst kaufen, um irgendwann vielleicht ein Publikum zu finden, das ausreichend groß ist, um sie als Werbeträgerin für die wichtigen Marken interessant zu machen. Über das System, in dem sie zu funktionieren hofft, macht sie sich nicht groß Gedanken. Ihr Vater dagegen verfügt als ehemaliger Funktionär in der DDR über solide Kenntnisse der politischen Ökonomie. Diese haben ihn freilich nicht davor bewahrt, nach 1989 zu verarmen. Warum und wo man bei diesen verdammten Smartphones zu drücken oder zu wischen hat, bleibt ihm ein Rätsel. Auch dass es angesichts der Mietrückstände nicht sehr klug war, auch noch den Hausverwalter zu beschimpfen, begreift er nur so ungefähr.

Dann aber kommt Patrice! Wie einst Lumumba! Alfred denkt zurück an Zeiten, in denen er für internationale Politik (Afrika) zuständig war, reckt die geballte Faust empor und akzeptiert, dass der Sklave einzieht. Janine erlaubt Patrice, unter ihrem Bett zu schlafen und deutet an, dass es ja nicht beim Darunter bleiben muss. Auch scheint alles bestens zu laufen, wenn zum Beispiel ein Video, wie Patrice Alfred den Rücken massiert, massenhaft Likes sammelt.

Der Sklave jedoch verfolgt seine eigenen Zwecke. Er ist gesandt von seinen Ahnen, um den Westlern die Grundlage und die menschlichen Kosten ihres Wohlstands zu verdeutlichen. »60 Sklav*innen« werden verbraucht, um einem Europäer ein gutes Leben zu ermöglichen; und in den Kiez wird Patrice geschickt, weil es gilt, die relativ Armen zu überzeugen.

Die sind starrköpfig. Aber nicht ohne Gründe. Und so entstehen aus der Konstellation Auseinandersetzungen, wo nicht eindeutig ist, wer recht hat. Patrice schildert die Schrecken der Arbeit im globalen Süden, bei formal freier Lohnarbeit, doch um nichts besser als in der Sklaverei. Mitleid aber – weiß Alfred – hilft kaum weiter, es geht um die Erkenntnis des Zusammenhangs. Das stimmt und kann Rechtfertigung sein, sich weiter vom Schwarzen massieren zu lassen. Und wenn sich die Armen endlich erweichen lassen, können sie sich »Fair Trade« überhaupt leisten? Und wenn sie rebellisch werden, benutzt der Medien- und Marketingapparat am Ende sogar auch das noch?

Elke Schuster hat eine Art Laufsteg in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung gestellt, auf dem sich die Influencerin als Modell darstellen kann. Drumherum, wie um einen Boxring, sitzt das Publikum. Bei allem Schlimmen, was beschrieben wird, ist die Grundanlage die einer Komödie. Es gäbe allerhand zu lachen, aber so recht trauen sich die Zuschauer das nicht (Kolonialismus, Ausbeutung, ein Schwarzer auf der Bühne – was darf man …?). In dieser Hinsicht fehlt es an einer Unbefangenheit, die für die ästhetische und also politische Wirkung hilfreich wäre. Das Verlachen des Falschen hätte etwas Befreiendes, und das Komödienschema ist – bis hin zu dem absurd-guten Ende – mit Grund aufgerufen.

Berliner Compagnie, Muskauer Str. 20a, Berlin-Kreuzberg. Nächste Vorstellungen: 18.–20.10., 1.–3.11., 8.–10.11., 15.–17.11.

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