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Aus: Ausgabe vom 17.10.2024, Seite 1 / Titel
Flüchtlingslager

Jenseits von Afrika

Albanien statt Ruanda: Erste Migranten im italienischen Internierungslager angekommen. Antifaschistischer Autor kritisiert auf Buchmesse Meloni
Von Arnold Schölzel
Shëngjin am Mittwoch: Ein kleiner Schritt für den Migranten, ein großer Schritt zurück für die Menschheit
Shëngjin, Albanien, am Mittwoch: »Der europäische Traum endet hier« – Protest mit Fotos von Meloni und Rama
Shëngjin, Albanien, am Mittwoch: Drohnenaufnahme des exterritorialen italienischen Internierungslagers für Migranten

Das neue Lagerzeitalter der Westeuropäer ist eröffnet. Am Mittwoch hat die italienische Marine erstmals Migranten in ein Nicht-EU-Land gebracht – nicht ins afrikanische Ruanda, wie es Großbritannien vorhatte, sondern nach Albanien. In einem dort von Italien gebauten und unterhaltenen Internierungslager – die früher bei allen Kolonialmächten gebräuchliche Vokabel »Konzentrationslager« ist seit 1945 verpönt – sollen die 16 Männer aus Ägypten und Bangladesch ein Asylverfahren nach italienischem Recht durchlaufen. Sie kamen morgens in der Hafenstadt Shëngjin an und wurden von Sicherheitskräften in ein »Aufnahmezentrum« gebracht, so dpa. Die Männer hätten zuvor versucht, in einem Flüchtlingsboot »irregulär« nach Europa einzureisen.

Sie sollen später ins Hauptlager in Gjadër im Landesinnern Albaniens überführt werden. Dort will Rom exterritorial Asylanträge im Schnellverfahren prüfen und Abschiebungen schneller abwickeln. Diejenigen, die Anspruch auf Asyl haben, werden nach Italien überstellt. Wer abgelehnt wird, soll zurück in sein Herkunftsland. Damit wird eine von Italiens faschistischer Ministerpräsidentin Gior­gia Meloni und ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama 2023 getroffene Vereinbarung umgesetzt. Rama, dessen Land zwischen 1939 und 1943 von den Mussolini-Faschisten besetzt war, die dort Konzentrationslager errichtet hatten, bewies am Mittwoch in der Berliner Zeitung Flexibilität in Geschichtsfragen. Zur Begründung fürs Abkommen erklärte er: »Die Italiener haben uns in schweren Zeiten immer zur Seite gestanden.« Er hat, wie er an anderer Stelle erklärte, viele Anfragen für solche Lager erhalten, aber alle abgelehnt. Für Italien mache er eine Ausnahme. Die Regierung in Rom, die alle »direkten und indirekten Kosten« trägt, beziffert diese über einen Zeitraum von fünf Jahren auf etwa 670 Millionen Euro.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete das Verfahren als »interessantes Modell«. Sie kündigte an, Erfahrungen daraus in ihre Überlegungen einzubeziehen. Die Vize­unionsfraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) äußerte: »Es spricht einiges dafür, dass die Zusammenarbeit von Italien und Albanien Menschen ohne Schutzbedarf künftig davon abhält, sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu machen.« Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich interessiert. In einem Bericht regte sie am Dienstag an, »mögliche Wege für die Entwicklung von Rückführungszentren außerhalb der EU zu erkunden«. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs kann ein Land nur dann als sicher gelten, wenn es dort keine Verfolgung oder Folter gibt. 15 der 22 von Italien als sicher eingestuften Herkunftsländer erfüllen diese Bedingungen nicht.

Der Migrantenabwehr nach außen entspricht in Italien die rigorose Zensur missliebiger Autoren. Am Mittwoch erinnerte der Schriftsteller Antonio Scurati, Autor eines Mussolin-Romans, auf der Buchmesse in Frankfurt am Main daran, wie er daran gehindert wurde, im italienischen Fernsehen zum Tag der Befreiung Italiens vom Faschismus am 25. April zu sprechen. Er hatte Meloni vorgeworfen, »die Geschichte umzuschreiben« und »ihrer neofaschistischen Herkunftskultur« treu zu bleiben. Er sagte nun: »Ich wurde als Feind behandelt, wie ein räudiger Hund.« Andere Autoren aus dem diesjährigen Buchmessegastland Italien äußerten sich in Frankfurt ähnlich.

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