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Aus: Ausgabe vom 17.10.2024, Seite 8 / Inland
Auseinandersetzungen in der Linken

»Das wirkt wie ein orchestriertes Vorgehen«

Berlin: Rechter Flügel verliert Abstimmung auf Linke-Parteitag und wirft anderen »Zerstörung der Partei« vor. Ein Gespräch mit Ramsy Kilani
Interview: Yaro Allisat
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Verlor den jüngsten Machtkampf im Landesverband: Petra Pau auf dem Landesparteitag in Berlin (11.10.2024)

Beim Parteitag des Berliner Landesverbands der Linkspartei ist es am vergangenen Freitag in der Debatte zum Antrag »Gegen jeden Antisemitismus – Emanzipation und universelle Menschenrechte verteidigen!« hoch hergegangen. Ihnen und weiteren Delegierten wurde von den Antragstellern vorgeworfen, die »Partei zu zerstören«. Wie kam es aus Ihrer Sicht dazu?

Der »Realo«-Flügel um die Abgeordneten Katina Schubert, Klaus Lederer und Elke Breitenbach ging auf dem Landesparteitag mit einem Antrag in die Offensive, der – nominell gegen Antisemitismus – den »Einsatz rechtsstaatlicher Mittel« vorsah. Zudem warf der Antrag Hamas und Hisbollah »eliminatorischen Antisemitismus« vor. Der linke Parteiflügel ließ den Begriff mit einem Änderungsantrag streichen, weil er auf den Holocaust bezogen entwickelt wurde. Die Anrufung des autoritären Staates wurde angesichts der zunehmenden Repression mehrheitlich abgelehnt. Nach einer Pause gaben die Antragstellenden bekannt, dass sie den Antrag zurückziehen. Wegen des Vorwurfs der Holocaustrelativierung würden sie nicht länger am Parteitag teilnehmen. Anschließend stürmte dieser rechte Flügel unter wüsten Rufen und Beschimpfungen aus dem Saal. Eine Abgeordnete zeigte einer Genossin den Mittelfinger.

Was ist an dem Vorwurf dran, Sie und andere würden die Partei »zerstören«?

Nichts. Der Antrag, das Verlassen des Parteitags und die Medienkampagne wirken auf mich wie ein orchestriertes Vorgehen des rechten Parteiflügels. Trotz der Vorwürfe war ich selbst gar nicht an der Intervention auf dem Landesparteitag beteiligt, auch wenn ich mich als Teil des linken Flügels sehe und das Ergebnis begrüße. In den aktuellen Zeiten imperialistischer Eskalation und des Aufstiegs der AfD ist eine antikapitalistische Stimme notwendig. Mit diesem Ziel haben ich und andere Genossinnen und Genossen die Partei Die Linke über Jahre mit viel Herzblut mit aufgebaut. Ich halte einen alternativlosen Niedergang der Linkspartei nicht für einen Fortschritt für die gesamte deutsche Linke.

Welche Perspektiven sehen Sie?

Die Linke ist heute kaum noch imstande, einen Pol der Hoffnung abzubilden. Die parlamentarische Orientierung auf Regierungsbeteiligung hat die Verbindungen zu außerparlamentarischen Bewegungen und Arbeitskämpfen geschwächt sowie zu Passivität in den meisten Basisstrukturen geführt. Die Politik der Linken in Regierungsverantwortung auf Landesebene wendet sich nicht gegen Sozialabbau, Abschiebungen und Klimakrise. In der öffentlichen Debatte ist Die Linke nicht mehr als systemkritische Opposition gegen den Kapitalismus wahrnehmbar. Sie wirkt wie eine farblose, etablierte Partei. Gleichzeitig gibt es Wut über die Folgen neoliberaler Kriegs- und Verarmungspolitik. Die Klimabewegung und die Palästina-Bewegung gegen Israels Völkermord in Gaza sind mit staatlicher Repression konfrontiert. Unmut über den deutschen Militarismus wächst; der Aufstieg der AfD macht entschlossene Gegenmobilisierung nötig. Das wären Ansatzpunkte, um einer linken Bewegungspartei Leben einzuhauchen.

Was bedeutet das für Ihr Engagement in der Partei?

Ende dieser Woche steht der Hallesche Parteitag an. Unserer Ansicht nach ist es an der Zeit für Entscheidungen. Mit Formelkompromissen wird Die Linke in der Polarisierung keine Zukunft haben. Eine linke Partei, die einen Völkermord nicht als Völkermord bezeichnen kann, macht sich selbst überflüssig. Gleichzeitig liegen die Probleme tiefer, gehen über die Palästina-Solidarität hinaus. Das Engagement für den Aufbau einer Oppositionspartei, die eine Stimme gegen Krieg und Krise ist, wird für mich weiter zentral sein. Ich schätze viele Aktive in der Linken. Allerdings würde die Entscheidung für die Stagnation bedeuten, dass die ehemalige Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz (erneut seit 2022 im Parteivorstand, jW), ich und andere Mitglieder von »Sozialismus von unten« unseren Schwerpunkt auf den Bewegungs- und Organisationsaufbau verschieben. Denn für uns war die Mitarbeit in Die Linke damit verbunden, im Kampf um Reformen einen revolutionären Kern aufzubauen.

Ramsy Kilani ist Aktivist bei »Sozialismus von unten« und Mitglied von Die Linke

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