Neues Zahlungssystem
Von Reinhard LauterbachDie Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, plant offenbar eine grundlegende Finanzreform der EU. Wie mehrere europäische und US-Medien, darunter die Frankfurter Allgemeine vom 7. Oktober, übereinstimmend berichten, geht aus einer offenbar gezielt als Stimmungstest an ausgewählte Medien gegebenen Präsentation hervor, dass ab der nächsten Finanzperiode (2028–2034) die bisherigen Agrarsubventionen und Ausgleichszahlungen für benachteiligte Regionen ersatzlos abgeschafft werden sollen. An ihre Stelle sollen Globalzuschüsse der EU für die nationalen Haushalte treten, deren Zahlung die EU aber von politischem Wohlverhalten der einzelnen Mitgliedsstaaten (»Reformen«) abhängig machen will.
Betroffen von der Reform sind Ausgaben, die in der Summe bisher etwa zwei Drittel des EU-Haushalts ausmachen – jeweils ein Drittel für die Landwirtschaft und für die Strukturpolitik. Es sind aber insbesondere auch Posten, bei denen unter dem Etikett der Herstellung von »Wettbewerbsfähigkeit« wenigstens gelegentlich noch ein Kollateralnutzen für gewöhnliche Menschen abgefallen ist – zum Beispiel ist das schnelle Internet, das der Autor dieser Zeilen auf einem polnischen Dorf nutzt, vor etwa zehn Jahren im Rahmen eines Projekts zur »Diversifizierung der Erwerbsmöglichkeiten im ländlichen Raum« verlegt worden – in der Tat muss man jetzt auch im ländlichen Raum nicht mehr auf dem Mähdrescher sitzen oder in die nächste Stadt pendeln, sondern man kann zum Beispiel auch journalistisch arbeiten.
Mit solchem »Gedöns« will sich die EU-Spitze jetzt aber offenbar nicht mehr abgeben. Das überlässt sie den Mitgliedsstaaten, die sie andererseits aber durch die Konditionalität der künftigen Zahlungen dazu zwingen will, die allgemeinen Prioritäten der EU in Richtung »Wettbewerbsfähigkeit«, »Innovation« und Herstellung von »Resilienz« und »Verteidigungsfähigkeit« mitzutragen. So sollen nach dem durchgestochenen Papier künftige Agrarsubventionen daran geknüpft werden, dass die Mitgliedsstaaten die Ökolandwirtschaft fördern; dahinter dürfte die Einsicht stehen, dass konventionelle Landwirtschaft in Westeuropa mit dem beabsichtigten Beitritt der Ukraine gegen deren Industriegetreide sowieso keine Chancen mehr hätte, man das Absterben dieser Branche also auch nicht durch Milliardenzahlungen in die Länge ziehen muss und ihr allenfalls noch helfen sollte, sich auf höherpreisige Nischenprodukte umzustellen. Andere Beispiele sind aber auch viel weiter hergeholt: So könnten Zahlungen aus den Struktur- und Kohäsionsfonds davon abhängig gemacht werden, dass die Mitgliedsstaaten zum Beispiel mehr für die Schließung des »Gendergaps« in der Entlohnung von Frauen und Männern tun. Der EU fehlen hierzu die vertraglichen Kompetenzen, und sie will sich auf diesem Feld – der »Europäischen Sozialunion« – offenbar nicht mehr verkämpfen. Mit der Umstellung auf Globalzuschüsse ist absehbar, dass die Förderung bestimmter Branchen oder Regionen in den Mahlstrom der nationalen Haushaltsdebatten geworfen wird und dort zum Beispiel immer noch in den Bau von panzerfesten Straßen statt Fahrradwegen umgeleitet werden kann und soll.
Mit dem neuen Finanzierungsmodell will von der Leyen aber offenkundig auch das allgemeine politische Wohlverhalten der Mitgliedstaaten prämieren. Wer nicht spurt, bekommt kein Geld mehr. Ein Beispiel ist der kürzliche verbale Rundumschlag, den sich von der Leyen gegenüber dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán geleistet hat: Seine Versuche, abweichend von der EU-Linie einen Waffenstillstand für die Ukraine zu vermitteln, machten ihn zu »einem Sicherheitsrisiko für uns alle«, so die Kommissionschefin. In der Perspektive ist damit die Absicht erkennbar, die – nach wie vor von niemandem direkt gewählte – EU-Kommission zur europäischen Überregierung auszubauen, die dem ganzen Kontinent die Richtung vorgibt. Noch ist das Konzept allerdings nicht verabschiedet – und nicht einmal die einzelnen Kommissare bereits vom EU-Parlament bestätigt. Aber das Personaltableau, das von der Leyen geschnürt hat, hat es in sich. So soll der ganze Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik und des EU-Haushalts an eine »Viererbande« antirussischer Scharfmacher und -innen aus Finnland und den baltischen Staaten gehen.
Theoretisch ist noch denkbar, dass die Mitgliedstaaten das Budgetpaket von der Leyens noch in EU-üblicher Weise zerreden, so dass es kleiner aus dem Europäischen Rat herauskommt, als es hineingegeben wurde. Die nationalen Hauptstädte pflegen ein traditionelles Misstrauen gegen alle Verschiebungen der Kräfteverhältnisse zwischen ihnen und Brüssel zugunsten der Kommission. Aber mit ihrer Konzeption hat Ursula von der Leyen gezeigt, was sie für die EU anstrebt: die Rolle eines auf weltweite Konkurrenzfähigkeit im Wirtschafts- und Gewaltbereich orientierten Blocks. Ob das den absehbaren Abstieg EU-Europas aufhalten kann, ist eine andere Frage.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 09.10.2024
Ein letzter Versuch
- 16.09.2024
Gülle und Mist
- 21.08.2024
Naturschutz kontra Milchwirtschaft
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Emissionshandel für Arme
vom 17.10.2024