Das Probenrätsel
Von Andreas MüllerTennisprofi Jannik Sinner hat seit August das Masters 1000 in Cincinnati, die US Open und das Masters 1000 in Shanghai gewonnen. Er ist der unangefochtene Weltranglistenerste und wird es bis Jahresende bleiben. Allerdings hat die Weltantidopingagentur (WADA) am 26. September beim Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne gegen Sinners Freispruch trotz zweier positiver Dopingtests Berufung eingelegt.
Der renommierte Pharmakologe Fritz Sörgel lenkt nun die Aufmerksamkeit auf den möglichen Dreh- und Angelpunkt im weiteren Verfahren: nämlich auf das Labor in den USA, das im März dieses Jahres am Rande des Turniers in Indian Wells Sinners Proben analysiert hatte. Demnach wurde der Italiener am 10. März und noch einmal acht Tage später positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet. »Die Analyseergebnisse aus diesem Labor müssen in allerkürzester Zeit vorgelegen haben. Wie das bei anonymisierten Proben so schnell gehen konnte, ist für mich ein Phänomen«, erklärte Fritz Sörgel gegenüber jW. »Das ist eine der großen Ungereimtheiten, die nach dem Einspruch der WADA nun hoffentlich aufgeklärt werden.«
Die Vorgänge in dem US-Labor, über dessen Status und Arbeitsweise bisher nichts bekannt wurde, spielen für den Chef des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg im weiteren Verfahren eine Schlüsselrolle. Was ist mit Sinners Proben geschehen? Wurden sie eingefroren, stehen sie bei der nunmehr eingeleiteten CAS-Untersuchung womöglich für weitere Tests zur Verfügung, oder sind sie schleunigst vernichtet worden? Handelt es sich um ein bei der WADA bzw. bei der US-Antidopingagentur (USADA) akkreditiertes Labor oder nicht? »Das sind sehr zentrale Fragen. Es ist wohl eher davon auszugehen, dass es nicht diesen offiziellen Status hat. Wie hätte es sonst sein können, dass die WADA erst nach Ende des ganzen Verfahrens am 20. August über den Vorgang informiert und vor vollendete Tatsachen gestellt wurde?«
Die International Tennis Integrity Agency (ITIA), verantwortlich für Integrität und Einhaltung der Antidopingregeln im Tennissport, hatte das Verfahrensmanagement nach den positiven Tests einer privatwirtschaftlichen Institution namens Sport Resolutions übertragen. Sinners Darstellung, das Mittel sei unbeabsichtigt durch seinen Masseur über die Haut übertragen worden, befand diese Instanz außerhalb des international üblichen Verfahrens für stichhaltig. Ein offiziell akkreditiertes Labor in den USA hätte bereits den ersten positiven Test umgehend an die USADA gemeldet, worauf zeitnah ebenfalls WADA und die italienische Antidopingagentur NADO im Bilde gewesen wären. Diese Information gab es nicht, was für ein WADA-Labor einen schweren Verstoß bedeutet hätte und eher darauf schließen lässt, dass es sich um ein US-Labor außerhalb des in solchen Fällen üblichen Procederes handelte. Auch dass es nach Sinners erster Probe binnen acht Tagen einen Nachtest gab, verblüfft Professor Sörgel. »So etwas ist die absolute Ausnahme und sehr ungewöhnlich«, sagt der Mann, der unter anderem in der prominenten Zahnpasta-Dopingaffäre des Langstreckenläufers Dieter Baumann 1999/2000 von der Tübinger Staatsanwaltschaft als Gutachter bestellt war.
Vieles deutet darauf hin, dass die Causa Sinner unter der Hand außerhalb der offiziellen Antidopingregularien ablief. »Damit hat sich der Tennissport in eine Sonderstellung gebracht, die unerträglich ist. So kann es nicht weitergehen«, sagte Sörgel gegenüber jW. »Diese Sonderrolle muss ein Ende haben. Die WADA mit ihrem System muss auch im internationalen Tennissport Herr des Verfahrens sein und dies zwingend einfordern.« Es könne nicht weiter angehen, dass WADA und die im speziellen Fall betroffene NADO über Monate uninformiert blieben, komplett übergangen und praktisch ausgeschaltet wurden.
Ungeachtet dessen sei der nachträgliche Einspruch zu begrüßen. Aufgrund der genannten Ungereimtheiten bei den Tests sieht Sörgel durchaus Chancen, Jannik Sinner vor dem CAS nachträglich in Bedrängnis zu bringen. Die WADA mit Sitz im kanadischen Montreal fordert eine Sperre von einem Jahr bis zu zwei Jahren für den 23jährigen Südtiroler. Während Norwegens Skilangläuferin Therese Johaug wegen eines Vergehens mit demselben anabolen Steroid Clostebol ab Oktober 2016 für anderthalb Jahre gesperrt wurde, kam der Weltranglistenerste bisher mit der Aberkennung der Weltranglistenpunkte und der Rückzahlung des Preisgeldes für das Erreichen des Halbfinals in Indian Wells sowie einigen »spielfreien Tagen« davon. Letztere nach außen mit der Lügengeschichte von einer Hüftverletzung verkauft. »Man weiß natürlich nie, wie die CAS-Richter entscheiden. Doch ich halte eine nachträgliche Sanktionierung nicht für ausgeschlossen. Sogar dann, wenn sich herausstellen sollte, dass die Positivproben längst vernichtet wurden.«
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