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Aus: Ausgabe vom 21.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Solange wir Fürstenknechte bleiben

Caspar David Friedrich zum 250. Geburtstag. Ein neuer Band im Dresdner Sandsteinverlag
Von Peter Michel
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Caspar David Friedrich: »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« (1819/1820, Öl auf Leinwand)

Dieser Katalog widmet sich auf 432 Seiten mit 49 Einzelbeiträgen von 29 Autoren den unterschiedlichsten Aspekten der Werk- und Rezeptionsgeschichte des großen Romantikers, der etwa 40 Jahre seines Lebens in Dresden verbrachte. Das gewichtige Buch erschien anlässlich der Ausstellung »Caspar David Friedrich – Wo alles begann«, die im Kupferstichkabinett und im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden am 24. August eröffnet wurde. Das Kupferstichkabinett wird diese Schau mit Zeichnungen und Graphiken schon am 17. November 2024 schließen; im Albertinum werden Friedrichs Malereien aber bis zum 5. Januar 2025 zu sehen sein. Diese repräsentative Würdigung reiht sich in die Vielzahl von Expositionen ein, die anlässlich des 250. Geburtstages nicht nur in Dresden stattfinden.

Wer bisher die Werke Caspar Davis Friedrichs schwärmerisch lediglich als Paradigmen einer romantischen Weltflucht begriff, wird beim Studium des Katalogs eines Besseren belehrt. Romantik und Realismus schließen sich in Friedrichs Lebenswerk nicht aus; darauf hatte schon Peter H. Feist im Katalog der Ausstellung »Caspar David Friedrich und sein Kreis« hingewiesen, die 1974/75 in Dresden stattgefunden hat. Auch aktuell wird Friedrichs Schaffen in die Gesamtheit des gesellschaftlichen und künstlerischen Lebens seiner Zeit eingeordnet. In seinen Paysagen herrscht stets ein Spannungsverhältnis zwischen Ideallandschaft und Naturwahrheit. Sie sind Sinnbilder und Abbilder zugleich. Diese Dialektik durchzieht die Kunstgeschichte bis zur Gegenwart; auch für die Kunst der DDR war sie kennzeichnend. Wie für Friedrich ist ebenso heute eine Rezeptionshaltung wichtig, die über die bloße Wahrnehmung des Objekts hinausgeht und dessen Deutung einschließt.

Der Katalog beschreibt z. B. Friedrichs Physiognomie der Bäume, der dargestellten Ruinen und Friedhöfe. Er dokumentiert u. a. Friedrichs eindeutige Ablehnung der »naiven Art« der Nazarener, an die Malerei der Vergangenheit anzuknüpfen, und beschäftigt sich ausführlich mit Friedrichs eigenem Umgang mit der Malerei der alten Meister. Hervorzuheben sind die Beziehungen der Katalogtexte zur kunsthistorischen Friedrich-Literatur. Untersucht werden die Wirkungen von Friedrichs Werk auf seine Zeitgenossen: Philipp Otto Runge, Friedrich Kersting, Carl Gustav Carus u. a. Er war z. T. ein heftiger Kritiker seiner Künstlerkollegen. Die Farbe als Gefühlsträger wird ebenso untersucht wie seine Maltechnik. Die Vielfalt der Aspekte und des unterschiedlichen Herangehens an Detailfragen ist beeindruckend. Untersucht werden auch seine Beziehungen zu russischen fürstlichen Gönnern.

Ein wichtiger Abschnitt wendet sich Friedrichs politischer Haltung zu. Er war ein Vertreter des Freiheitskampfes gegen die napoleonische Fremdherrschaft und engagierte sich für freiheitliche Rechte, wie sie in der jungen Studentenbewegung dieser Zeit vertreten wurden. Zugleich resignierte er darüber, dass sich die Ideale einer Erneuerung in der herrschenden politischen Ordnung dieser Jahre nicht verwirklichen ließen. Als er an Denkmalentwürfen arbeitete, schrieb er in einem Brief an Ernst Moritz Arndt: »Solange wir Fürstenknechte bleiben, wird auch nie etwas Großes der Art geschehen. Wo das Volk keine Stimme hat, wird dem Volk auch nicht erlaubt, sich zu fühlen und zu ehren.« (Katalog, S. 251) Dieser Brief wurde 1819 bei Ernst Moritz Arndt aufgefunden und führte zu politischen Verfolgungen in Friedrichs Freundeskreis. Einige Figuren in Friedrichs Landschaften tragen eine altdeutsche Nationaltracht, die auf dem Wiener Kongress verboten wurde. Auch sein Gemälde »Huttens Grab« ist eine Reminiszenz an den Freiheitskampf 1813. Der Katalog dokumentiert die Äußerungen Friedrichs, er traue keiner Obrigkeit über den Weg und stehe hierarchischen Gesellschaftsstrukturen skeptisch gegenüber.

Zu den Vorzügen des Katalogs gehören die Darstellung der peniblen Arbeit der Restauratoren und die Korrekturen bei einzelnen Zuschreibungen. Manches Werk, das früher Friedrichs Hand zugeschrieben wurde, musste nach eingehenden Untersuchungen aus seinem Werkverzeichnis gestrichen werden. Als einen Nachteil empfinde ich, dass die Umschlaggestaltung hinter bereits erschienenen Büchern und Katalogen des Verlages weit zurückbleibt. Es ist auch unvorteilhaft, Bildausschnitte so über eine Doppelseite zu ziehen, dass das Wesentliche durch den Bund zerschnitten wird.

Der Inhalt schließt mit Beiträgen über die geringe Wertschätzung des Werkes von Caspar David Friedrich nach 1840 und seine Wiederentdeckung um 1890, über das Schicksal seiner Bilder während des Zweiten Weltkrieges, über den Missbrauch seiner Kunst durch die Nazis. Die Verdienste Hans Joachim Neidhardts um die Erforschung von Friedrichs Werk werden gewürdigt, und es gibt einen umfangreichen Registerteil mit einer Biographie, mit genauen Angaben zu allen 373 ausgestellten Werken. Dieser Sachkatalog präsentiert eine großartige Bilanz der bisherigen Forschung zu diesem Künstler und regt gleichzeitig zu weiterer Arbeit an.

Holger Birkholz; Petra Kuhlmann-Hodick u. a., Staatliche Kunstsammlungen (Hg.): Caspar David Friedrich – Wo alles begann. Sandsteinverlag, Dresden 2024, 432 Seiten, 499 meist farbige Abbildungen, 48 Euro

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